DER NEUE CHEF VON SIEMENS PUNKTET BEI AKTIONÄREN UND ANGESTELLTEN : Vom Löscher zum Siemensianer
Natürlich ist es nicht hinreichend, die Qualität des Aufarbeitens von Schmiergeldskandalen und schwarzen Kassen nur am Mienenspiel des Verantwortlichen zu beurteilen. Aber im Zusammenspiel mit Unternehmensführung, Ermittlungsberichten und Mitarbeitergesprächen ist es kein unwesentliches Indiz. Denn es gibt ein wenig Auskunft über den inneren Zustand einer Organisation und hilft, sich ein Bild von der Zukunft zu machen.
Die Mimik und das Auftreten von Peter Löscher gestern auf der Hauptversammlung seines Unternehmens – der Skandalkrake Siemens – war ernst, aber freundlich. Kein dauerndes Lächeln, aber ein verbindliches Auftreten. Und dazu noch ein ganz kleiner österreichischer Zungenschlag. Der 50-jährige Löscher scheint – so auch die Meinung der kleinen Siemensianer – der passende, greifbare Mensch zu sein, den der strauchelnde Konzern braucht.
Vor sieben Monaten waren manche Beobachter unsicher, ob der gebürtige Villacher, der kein Techniker ist, das Potenzial hat, den Konzern neu aufzubauen, zu entschlacken und vor allem wieder auf den Pfad der Tugend zu führen. Doch der gelernte Betriebswirt Löscher – vor Siemens war er zweiter Chef des US-Pharmariesen Merck – scheint bisher seinen Job gut zu machen. Betriebsräte und Staatsanwälte wissen nur Lobendes zu berichten, und auch die kritischen Aktionärsvertreter unterstützen ihn. Das liegt daran, dass der radikale Umbau der obersten Management-Struktur hin zu persönlicher Verantwortung funktioniert. Seine Aufklärungsmethode „Amnestie für normale Angestellte – volle Verantwortung für das Management“ macht einen guten Eindruck. Auch seine Entschuldigung für die AUB-Schmierereien seiner Vorgänger klingen ehrlich.
Kurz: Seit gestern hat Siemens, Deutschlands wichtigstes Unternehmen, auch nach außen hin wieder eine dauerhafte Führung. Am Anfang war Löscher der Löscher eines Großbrandes. Jetzt scheint er sich zum Leithammel entwickelt zu haben, zu einem Siemensianer mit eigenem Kopf – und offenbar macht es ihm Spaß. Das ist gut für die vielen Mitarbeiter, das ist gut für die Moral, und das kann auch die Aktionäre freuen. MAX HÄGLER