DER KULTURPOLITIK DES BUNDES FEHLT NOCH IMMER DIE KLARE LINIE : Konzert ohne Partitur
Wie schön, dass die Kultur mal wieder ins Blickfeld rückt. Mitten in der Debatte um Steuersätze, Haushaltslöcher und Sozialreformen wollte der Bundestag gestern auch eine Enquetekommission zur Lage der Kultur in Deutschland beschließen. In Zeiten der Sparzwänge nehmen die Parlamentarier in den nächsten zwei Jahren die noch immer üppigste Kulturlandschaft der Welt unter die Lupe, von den rund 80 Opernhäusern bis zur Stadtteilkultur, von der Gedenkstätte bis zur Gemäldegalerie.
Doch die Kulturpolitiker des Bundes sollten zunächst bei sich selbst anfangen. Seit fünf Jahren ist ihr Metier jetzt durch einen eigenen Staatsminister und Parlamentsausschuss vertreten – doch ein schlüssiges Konzept fehlt noch immer, wie die Entscheidung zur angeblichen Rettung der Berliner Opernhäuser in dieser Woche wieder gezeigt hat.
Zugegeben, unter den Gesichtspunkten tagespolitischer Taktik war die Finanzspritze für die klamme Hauptstadtkultur ein kluger Schachzug. Jetzt sind erst mal alle glücklich – der Bund, die Berliner und die Opernleute sowieso. Bei näherem Hinsehen aber offenbart der Kompromiss all jene Probleme, unter denen die Kulturpolitik des Bundes im Allgemeinen und die Debatte um die Hauptstadtkultur im Besonderen von Anfang an leidet.
Aus Angst vor einem Kompetenzstreit mit den Ländern ist der Bund einmal mehr davor zurückgeschreckt, die Berliner Staatsoper, die ihm angeblich so sehr am Herzen liegt, auch tatsächlich zu übernehmen. Stattdessen bekommt jetzt Staatsministerin Christian Weiss diverse Einrichtungen, um die es im aktuellen Streit gar nicht ging – verbunden mit der Aussicht, das Land Berlin könne mit dem gesparten Geld seine miserabel besuchten Opernhäuser allesamt durchschleppen.
Das könnte funktionieren – für bestenfalls zwei Jahre. Spätestens dann wird das Geld im Berliner Haushaltsloch verschwunden sein, und die Debatte beginnt von Neuem. Spätestens dann wird sich der Bund entscheiden müssen, ob er die Hauptstadtkultur wirklich selbst gestalten will.
RALPH BOLLMANN