DER KANNIBALISMUS-KARDINAL ÄHNELT DEN FORSCHERN, DIE ER BESCHIMPFT: Gejammer der Heilspropheten
Am Aschermittwoch muss es krachen. Nach den Ausschweifungen der Karnevalszeit löst gemäß der katholischen Tradition wieder der Pfarrer auf der Kanzel den Narren in der Bütt ab. Auf die lästerlichen Reden folgt ein Donnerwetter. Die Bußpredigt soll die Schäfchen in der nun folgenden 40-tägigen Fastenzeit so verschüchtern, dass sie die Erlösung zu Ostern herbeisehnen. Das ist seit Jahrhunderten die Dramaturgie des Aschermittwochs. Die Politik hat das kopiert. Aber nur Franz Josef Strauß hat es geschafft, die Himmel-und-Hölle-Rhetorik in politisches Kapital zu verwandeln.
Der konservative Kardinal von Köln, Joachim Meisner, hat die Erwartungen nicht enttäuscht. Tief griff er in die rhetorische Trickkiste und verurteilte die Stammzellenforschung als „Kannibalismus“. Meisner bestätigt und verlängert damit die Logik, nach der Abtreibung, aber auch Verhütung Mord ist. Für die katholische Kirche gilt nach wie vor die befruchtete Eizelle als Mensch. Jedes Manipulieren an ihr sei die Verletzung, Vernutzung und Tötung eines Menschen. Diese Ansicht vertreten Konservative wie Meisner so lautstark, dass sie keinen Widerspruch dulden. Ihr Anspruch, im Besitz der allein selig machenden Wahrheit zu sein, ist aber nur die Kehrseite der Heilsversprechen von Forschern und Wirtschaft. Während die Kirche auf ihrer fragwürdigen Ansicht beharrt, auch die Eizelle vor der Einnistung sei schon ein vollwertiger Mensch, reden die Forscher kaltschnäuzig von „Zellhaufen“, mit denen nach Belieben zu verfahren sei. Dem neoliberalen Marktradikalismus, der alles für ökonomisch verwertbar erklärt, setzt die katholische Kirche ihren jahrhundertealten Radikalismus in der Bioethik entgegen. Zwei Ansprüche, komplizierte Fragen absolut und resolut zu beantworten, knallen aufeinander.
Diese zwei Meinungen sind für sich legitim. Wer in einer komplexen Welt einfache Antworten sucht, darf sich seinen eigenen Fundamentalismus basteln. Problematisch wird der Absolutheitsanspruch, wenn er wie bei Meisner gegen andere zielt und keinen Kompromiss mehr zulässt. Kirche („das Leben“) und Forschung („der Fortschritt“) malen in Schwarzweiß statt in den Grautönen des Lebens. Die viel gescholtene Politik und die Gesellschaft sind da viel weiter. Selten hat es eine so ernsthafte und breite Diskussion gegeben wie die vor der Entscheidung des Bundestages über die Stammzellenforschung. Die Parlamentarier hörten sich gegenseitig zu, die Zwischentöne waren deutlich. Die Entscheidung ist ein Beweis dafür, dass es auch in komplizierten Fragen eine Verständigung geben kann. Das Gejammer aus dem Labor und das Gedonner von der Kanzel ändern daran nichts. BERNHARD PÖTTER
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