DER FÖDERALISMUS GEHÖRT NICHT REFORMIERT, SONDERN ABGESCHAFFT : Folgenreiches Missverständnis
Gut, dass die Reform des deutschen Föderalismus jetzt kommt. Das undurchschaubare Knäuel vermischter Bund-Länder-Kompetenzen wird entwirrt, die Blockademöglichkeit der Länder im Bundesrat eingeschränkt. Wenn eines Tages die große Reform der Finanzen folgt, werden die Verantwortlichkeiten tatsächlich wieder klarer. Die Reform folgt also einem höchst demokratischen Prinzip.
Doch wird es dem Föderalismus nicht anders gehen als allen Reformprojekten zuvor. Jahrelang hat niemand geforderten Neuerungen widersprochen. Wenn es aber ernst wird, werden plötzlich die Nachteile entdeckt. Im Fall der Föderalismusreform bedeutet das: Weil der Bund für seinen Kompetenzgewinn den Ländern etwas anbieten muss, entlässt er Bildung aus seiner Verantwortung und ermöglicht im Umweltschutz Alleingänge der Länder. Und plötzlich schreien alle auf, denen an funktionierenden Hochschulen oder sauberer Luft gelegen ist – auch wenn sie gegen den Föderalismus in abstrakter Form gar nichts einzuwenden haben. Die Bedenken sind berechtigt. Auf vielen Politikfeldern ist der Bund nicht nur der finanziell stärkere, sondern oft auch der kompetentere Akteur.
Noch dramatischer sind die Folgen in der Finanzpolitik: Wenn die große Koalition ihre Ankündigung wahr macht und in einigen Jahren auch den jetzigen Finanzausgleich einschränkt, müssen die ärmeren Länder sehen, wie sie sich behaupten. Ganz so, als handele es sich bei Bundesländern um konkurrierende Konzerne. Doch in Mecklenburg-Vorpommern ist das Land Mecklenburg-Vorpommern leider ein Monopolist.
Besser als eine Reform des deutschen Föderalismus wäre daher seine völlige Abschaffung. Dumm nur, dass der Bundesstaat auch per Verfassungsänderung nicht abgeschafft werden kann. Die Urheber des Grundgesetzes wollten damit eine Lehre aus der Nazizeit ziehen. Das war ein historisches Missverständnis: Während das zentralistische Preußen bis zuletzt ein Hort der Demokratie geblieben war, gab es die ersten braunen Landesregierungen in den angeblich so liebenswerten Kleinstaaten. RALPH BOLLMANN