DER FLÜCHTLINGSJUNGE ELIÁN IST NACH KUBA ZURÜCKGEKEHRT: Neue Zeitrechnung
Die Schlacht ist geschlagen, Elián ist zurück in Kuba. Doch die kubanische Regierung verordnet dem Land nur gedämpften Jubel. Dabei war es auf dem großen Schachbrett der internationalen Politik ein Meisterstück Fidel Castros: Wie nie zuvor gelang es ihm, die mächtige Gruppe der Exil-Kubaner in den USA politisch auszumanövrieren. Auf einmal machten andere die Politik: die Vertreter der agrarisch geprägten Bundesstaaten und der US-amerikanischen Exportwirtschaft, die am kubanischen Markt interessiert sind. Noch vor den Präsidentschaftswahlen einigten sich beide Parteien auf eine Lockerung des Embargos für Nahrungsmittel und Medikamente – eine Sensation, die vor sieben Monaten kaum jemand für möglich gehalten hätte, auch wenn der Großteil der Sanktionen und Embargobestimmungen unverändert in Kraft bleibt. Doch das politische Signal ist gewaltig. Der Schritt kündigt den vielleicht größten Schwenk in der Politik der USA gegenüber Kuba seit 40 Jahren an. In Washington schimmert die sozialdemokratische Parole vom „Wandel durch Handel“ durch.
„Nach Elián“, das klingt aber auch auf der Insel nach dem Beginn einer neuen Zeitrechnung. Sieben Monate wurde die Öffentlichkeit des Landes auf das Schicksal des sechsjährigen Jungen konzentriert. Sieben Monate, in denen Kundgebungen für Elián, Erklärungen für Elián, Solidaritätsadressen für Elián die Zeitungen, Betriebsversammlungen und Fernseher beherrschten. In der Sache hatte Castro zweifellos breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Aber nach sieben Monaten sind auch sie der Mobilisierungen und Kampagnen müde.
Ein „Kollateralschaden“ des Falls Elián war es auch, dass in Kuba in diesen sieben Monaten praktisch alle anderen Fragen von der Kampagne für Elián verdrängt wurden. Es sind aber die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die das Kuba „nach Elián“ beschäftigen werden. Und die Antworten hierauf könnten die Regierung Castro vor schwierigere Herausforderungen stellen, als Elián seinem Vater zurückzugeben. BERT HOFFMANN
Bert Hoffmann ist Politikwissenschaftler am Lateinamerika-Institut der FU Berlin
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