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DEBATTEFundamentalisten der Demokratie

■ Antwort auf die Polemik von Ulrich Hausmann und Udo Knapp

Warum müssen intellektuelle Debatten hierzulande immer mit einer so entsetzlichen Sturheit inszeniert werden? Meine Freunde Ulrich Hausmann und Udo Knapp haben sich über meinen Text zum Jahrestag der Einheit geärgert. Ich spöttelte über die westdeutsche „Status-quo- Generation“ und die „Schutzgemeinschaft westdeutscher Lebensart“. Brandt-Enkel und Fischer- Freunde waren gemeint, kurz: eine westdeutsche Linke, die schockiert vom Mangel an zivilem Verhalten östlich der Elbe nun die Segnungen von vierzig Jahren bundesrepublikanischer Demokratie als höchst bedrohten utopischen Zustand behandeln. Den Demokratiebegriff der beiden Autoren teile ich durchaus: „Demokratie kann von ihrem Wesen her nie aufs Ganze zielen. Mehrheitsentscheidungen, Konsens und Rechtsstaatlichkeit können nur partikulär sein.“ Richtig, im Grundsatz. Die Autoren meinen freilich, ich habe gegen diesen Begriff verstoßen. Der Nachweis am Text fehlt aber. Was sie aus ihm herauslesen, widerspricht dem Gesagten. Müßig, den Originaltext zu rekonstruieren. Aber eine Vorbemerkung zu dieser Art linker Debattiererei will ich doch machen.

Es gibt da zwei charakteristische Züge, und die habe ich gründlich satt. Erstens jene Art: Wenn du dieses oder jenes sagst, meinst du eigentlich — und dann wird nur noch übers „eigentlich Gemeinte“ gestritten. Die Autoren zitieren Sätze, in denen ich von „Tabula rasa“, von einer radikalen Erfahrung gesellschaftlicher Umwälzung im Osten und vom „rabiaten Schock unverstellter Erfahrungen von Gesellschaft“ spreche. Ich nenne diese Erfahrungen „Treibmittel“ für die Zukunft, ein zugegeben unglückliches Wort, weil es an Dr. Oetker erinnert. Ich rede jedoch explizit vom dramatischen Mißverhältnis zwischen der Politik und diesen an die Wurzel gehenden Erfahrungen gesellschaftlicher Veränderungen. Die Autoren entnehmen daraus ein Plädoyer für „Radikalismus als Selbstzweck“ und sehen mich schon, Hannah Arendt zitierend, im „Bündnis von Mob und Elite“. Das Mißverständnis: Ich versuche, die Realität zu benennen und zu begreifen. Die Autoren attackieren diesen Versuch als unvermittelt politische Position. Dabei wäre ihre andere Sichtweise interessant.

Geschädigt vom Gegner

Die zweite Art, mit Argumenten fertig zu werden, hat mit der Benutzung des Wortes Tendenz zu tun. Das Gesagte wird in eine Tendenz eingereiht. Die wird entlarvt. Ich werde zusammen mit K. H. Bohrer, Friedrich Dieckmann, Jens Jessen zu einer Tendenz erhoben. Was mich mit K. H. Bohrer verbindet, hätte ich gern gewußt. Ich hab's nur nicht begriffen.

Ulrich Hausmann und Udo Knapp haben mit großer Energie den undemokratischen Kern und den Mangel an freiheitlicher Gesinnung in den linken, grünen, ökologischen Ideologien denunziert. Aber sie sind offenbar geschädigt von ihren Gegnern. Sie streiten im Stile grüner Parteitage, bei denen die genannten Debattenmuster gang und gäbe waren. Ihre ganze Polemik zielt auf die Klageweiber der verlorenen Utopie und auf die sehnsuchtsvollen Hungerleider des dritten Wegs. Aber sind das noch die Gegner?

Hausmann und Knapp erwähnen kurz, daß die bundesrepublikanische Demokratie „hoffentlich unumkehrbar“ durch 1968 liberalisiert worden sei. Aber welcher Aufwand an Utopie, an revolutionären Welterlösungshoffnungen brauchte es, um einen Prozeß der Demokratisierung durchzusetzen! Die 68er selbst, sind sie nicht im Protest gegen die ungerechte Gesellschaft, gegen die Entfremdung, gegen das „System“ Sturm gelaufen, gerade weil ihnen die „funktionierende repräsentative Demokratie“ gepredigt wurde? Und wie lange haben die 68er und die nachfolgenden linken Generationen gebraucht, sich in den demokratischen Verhältnissen zu Hause zu fühlen, die sie selber mitgeschaffen haben? Immerhin, derlei Erinnerungen sollten doch mehr zur Ironie als zur Apologie anregen!

Zur Wirklichkeit 1991. Ich sehe in der Tat einen „Neuanfang“. Hausmann und Knapp heben den Zeigefinger und warnen, „das Spielen mit dem verabsolutierten Neuanfang war noch immer ein Zeichen eines Aufbruchs in den Totalitarismus“. Mag sein, daß das gilt, wenn man daraus eine politische Philosophie und Utopie des Neuanfangs macht. Doch mit ihrem Beitritt ist die DDR nicht einfach in die westliche Realität eingetreten. Die DDR-Gesellschaft existiert, in der Sprache, in der Lebensauffassung, im Alltag, in all ihrer Unfähigkeit, mit der Öffentlichkeit und den „Zumutungen der Demokratie“ umzugehen. Es findet eine radikale, das heißt an die Wurzeln gehende Transformation dieser Gesellschaft statt. Auch wenn die Autoren das Anpassung an die westliche Zivilisation nennen, ist die Veränderung keineswegs weniger tiefgehend. Die ganze östliche Jammerei über die verlorene Vertrautheit reflektiert doch auch den Schock realer Veränderungen. Darüber muß doch — ohne Opportunismus gegenüber linkskonservativen Utopismen — geredet werden können!

Knapp und Hausmann: „In zehn Jahren sind die neuen Bundesländer einfach Bundesländer und sonst nichts.“ Ein Schlüsselsatz und ein dummer Satz. Nicht nur, weil zu befürchten steht, daß in diesem Land die ungleichzeitigen Widersprüche wesentlich länger rumoren werden. Es ist auch gar nicht zu wünschen, daß nach vierzig Jahren Teilung bloß „basta“ gesagt wird. Wer an die Demokratie glaubt, muß doch gerade wünschen, daß jene vierzig Jahre widersprüchlicher Gesellschaftserfahrung, daß die Konfrontation von ganz unterschiedlichen Erfahrungen von Zwang, Anpassung und Bewahrung von Indvividualität in einen Prozeß der Kritik hineinmündet.

Mein Monitum ist, daß die politische Klasse der Bundesrepublik nur fähig ist, die Vereinigung als Management von Normalität zu betreiben. Die höchst fragwürdige und illusorische Formel von der „Herstellung gleicher Lebensverhältnisse“ ist ein Beispiel. Vereinigung als Transfer von Verwaltungserfahrung, von Richtern, Unternehmensberatern, Politikmanagern und jenen 100 Milliarden DM jährlich. Eine Politik der Quantität, die im Osten eben nur als Kontinuum organisierter Defizite erlebt wird. Der Transfer des Rechtsstaates erscheint als Mangel an Richtern; die demokratische Schule heißt Fehlen demokratischer Lehrer, die öffentliche demokratische Verwaltung heißt Wartezeiten, und die versprochene soziale Sicherheit wird als Dschungel einer Sozialbürokratie erfahren.

Mag sein, daß in zehn Jahren alles vorbei ist. Aber die Zeit dazwischen interessiert. Auf der Höhe ihres einwandfreien Demokratiebegriffs kommen den Autoren derlei Unzuträglichkeiten der Realität gar nicht in den Blick. Die politische Klasse, auch die CDU, ist da realitätsbewußter: Sie klagt keineswegs nur über die Teilung im vereinten Deutschland, sondern thematisiert durchaus die Angst, daß im deutschen Ost-West- Gegensatz sich Widersprüche verschärfen und politisch unbeherrschbar werden. Freiheitliche und aufgeklärte Konservative wie Biedenkopf und Geißler, auf die auch Hausmann und Knapp sich gern beziehen, sehen in diesem Mißverhältnis von bundesrepublikanischen Politikmustern und neuer gesellschaftlicher Realität ganz explizit eine Gefahr für die Demokratie. Sie kritisieren die Unfähigkeit zum Teilen, sehen einen Endpunkt der westdeutschen Politik. Mithin, eine neue Herausforderung für die Demokratie, ein Neuanfang also. Wohin er führen wird, entscheidet sich in jenen zehn Jahren, die Hausmann und Knapp schon überbrückt haben.

Für die Idee des Neuen

Aber ich denke selbstverständlich auch mit Emphase an Neuanfänge. Ich glaube, daß durch die Vereinigung die Chance gewachsen ist, den deutschen Beamtenstaat zu erschüttern. Die Autoren unterstellen, daß das Beharren auf dieser Idee des Neuen mit einer Art Zwangslogik auf eine „wertebestimmende Substanz“ über der „verfassungsstaatlichen Dimension“ ziele. Das müsse dann automatisch die Nation, das Volk, das Völkische sein. Das ist bequem. Natürlich, bei diesem deutsch-deutschen Frust, bei dieser Art von Inländerhaß und bei allen Erfahrungen hoch beschleunigter gesellschaftlicher Veränderungen im Osten, die immerhin Millionen Ostdeutscher aus ihrer Bahn geschmissen haben, ist die Gefahr da, daß sie ihr Heil und ihre politische Sicherheit im Deutschsein suchen.

Aber erstens zählt das Deutschsein bei den Westdeutschen wenig, und zweitens ist der östliche Ruf nach „nationaler Solidarität“ (Thierse) keineswegs nationalistisch oder gar völkisch. Töricht ist es, die Differenz zwischen dem Glauben an nationale Solidarität, selbst wenn er zumeist irrational ist, und dem Nationalismus zu verwischen. Und es ist auch ignorant: die Bundesrepublik als eines der reichsten Länder dieser Welt konnte nationalistische Ansätze leicht kontrollieren. Sie hatte ja die starke Mark.

Bei dieser Zwangsalternative — entweder Anpassung an die westdeutsche Demokratiepraxis oder Flucht ins wesenshafte Nationale — halte ich dagegen: tertium datur. Die Demokratie selbst nämlich. Alle die oben angedeuteten Defizite an Demokratie und sozialer Sicherheit, die der Osten erlebt, entspringen dem Mangel an demokratischem Engagement. Die östliche Lust, Opfer zu sein, kommt aus einer sicherheitsgeilen Trägheit, aus dem brisanten Verschnitt von alter und neuer Unterwerfungsbereitschaft. Die Ostdeutschen haben ihre Realität noch nicht zu ihrer Sache gemacht. Mithin geht es nicht um Anpassung an die „funktionierende repräsentative Demokratie“, sondern um die Zerstörung von Anpassungsbereitschaft, um Demokratisierung also.

Alle die genannten Defizite bergen diese Chance in sich. Mehr Demokratie oder die Wende zum Nationalen, das ist die große Alternative in den nächsten zehn Jahren. Ich glaube, daß man nur dann die Chancen einer Demokratisierung auf den Begriff bringen kann, wenn man sich mit den Verwerfungen und zerreißenden Erfahrungen beschäftigt, die aus der abrupten Vermischung der zwei deutschen Gesellschaften entspringen. Deswegen verwirrt mich die Apodiktik, die missionarische Intransigenz der Autoren, mit der sie jeden kritischen Blick auf die bundesdeutsche Demokratie abwehren. Das Missionieren kommt bekanntlich vom Glaubenszweifel.

Mangel an Ironie

Woran zweifeln die Apologeten eigentlich? Die Art, wie sie ihren Demokratiebegriff von allen Befleckungen der Realität hic et nunc reinigen, macht ihn jedenfalls ungerechtfertigt zum Kanon. Den Autoren fehlt jene Ironie und jene Skepsis gegenüber den eigenen politischen Erfahrungen, die ihr eigener Demokratiebegriff verlangt. So wird ihr Demokratieverständnis fundamentalistisch. Es liest sich wie eine verspätete Versöhnung mit der Bundesrepublik. Dabei erregen die Autoren sich im Bannkreis des alten, linkskonservativen Politikbegriffs. Das macht die Auseinandersetzung nicht eben fruchtbar. Klaus Hartung

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