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DEBATTEMakabre Konsequenz

■ Im Konflikt um die Entlassung Heinrich Finks als Rektor der Humboldt-Universität konstituiert sich eine Anti-Gauck-Koalition

Sicherlich ist der bevorstehende Wechsel an der Spitze der Humboldt-Universität von einiger Tragweite für die Wissenschaftslandschaft Berlins, und keinesfalls ist ausgemacht, ob sich das Revirement per se positiv auf die Erneuerung der Traditionsuniversität auswirken wird. Unabhängig davon lassen sich der massive Protest und die begründeten Einwände gegen die Art und Weise, in der die Entlassung des bisherigen Rektors Heinrich Fink vom Berliner Wissenschaftssenator durchgezogen wurde, nicht einfach abtun; es gab keine Anhörung des Betroffenen, kein Amtsenthebungsverfahren, in dem die belastenden Unterlagen vor einer Entscheidung eingebracht und — für Heinrich Fink, die Studenten der Universität und die interessierte Öffentlichkeit — nachvollziehbar bewertet worden wären. Schwer abzuweisen ist auch der Eindruck, die belastenden Unterlagen gegen Heinrich Fink seien den Herren im Berliner Wissenschaftssenat — vierzehn Tage vor den Rektoratswahlen — gerade recht gekommen, um einem demokratisch korrekten, politisch aber höchst unliebsamen Wahlausgang zuvorzukommen.

Negatives Lehrstück

Das alles wiegt schwer, ein negatives Lehrstück. Wenn es Schule macht, wird die ohnehin eher mäßige gesellschaftliche Bereitschaft, sich mit der DDR-Vergangenheit auseinanderzusetzen, weiter gebremst, wird der Umgang mit der Stasi-Hinterlassenschaft des SED-Regimes, die Offenlegung der Verstrickung einzelner und die notwendige Durchsetzung von Sanktionen den gesellschaftlichen Erosionsprozeß in den neuen Ländern weiter befördern und den innerdeutschen Ost-West-Konflikt auf eine neue Stufe heben.

Nach den bislang vorliegenden Indizien, die auf eine langjährige Stasi- Verstrickung hindeuten, ist schwer vorstellbar, daß Heinrich Fink das Amt des Humboldt-Rektors hätte weiter bekleiden dürfen. Gerade deshalb aber wiegt das rücksichtslose Vorgehen des Berliner Wissenschaftssenats um so schwerer. Wieder einmal, wie auch im Fall de Maizière, wurde die Chance verpaßt, akzeptable verbindliche Formen zu entwickeln, die dem Betroffenen zumindest die Möglichkeit einräumen, nicht in den obligatorischen Verteidigungsreflex zu verfallen, um dann den erzwungenen und entwürdigenden Reigen des schrittweisen Eingeständnisses zu vollführen oder den verstockten Rückzug anzutreten.

Verpaßt wurde damit auch die Chance einer sich aus höchst unterschiedlichen Motiven sträubenden Öffentlichkeit, die Berechtigung und Notwendigkeit konkreter Aufarbeitung der DDR-Geschichte einsichtig zu machen. Wenn der Begriff Aufarbeitung nicht zur Leerformel verkommen soll, bedeutet er immer auch die Aufdeckung persönlicher Verstrickung und am Ende die — von der Öffentlichkeit akzeptierte — persönliche Konsequenz. Mit der überstürzten Entlassung Finks wird zwar die Kooperation mit dem Regime geahndet, zugleich aber eine gesellschaftliche Atmosphäre erzeugt, in der solche Konsequenzen nicht mehr gerechtfertigt und die Stasi-Verstrickung als Bagatelle erscheint. Nur ein Schritt, und die Täter von einst mutieren unter der Sanktionsdrohung „des Westens“ zu Opfern.

Verquere Koalition

Der Fall Fink hat nicht nur den Unmut und das passive Ressentiment gegen die „westdominierte“ Vergangenheitsbewältigung verstärkt; vielmehr hat sich in der Auseinandersetzung erstmals eine breite, vielschichtig motivierte Koalition konstituiert. In ihr verbinden sich umstandslose Verdrängungsbereitschaft, vergebliche Suche nach der verlorenen Identität, DDR-Nostalgie und Anti-West-Kolonialismus auf verquere Weise mit dem Impetus des Herbstes, obrigkeitsstaatliche Abstriche an Bürgerrechten und fairen, transparenten Verfahrensweisen zwischen Staat und Gesellschaft niemals mehr widerstandslos hinzunehmen. Daß jetzt einer der profiliertesten Bürgerrechtler des Herbstes, Jens Reich, oder die Schriftsteller Christoph Hein und Christa Wolf mit namenlosen Profiteuren des SED-Regimes in eine Reihe gezwungen werden, ist vielleicht das makaberste Ergebnis, das der Berliner Wissenschaftssenator Erhardt (CDU) mit der Entlassung Finks erzeugt hat.

Als noch folgenreicher dürfte sich die gemeinsame Zielrichtung des Protestes erweisen: nicht der Wissenschaftssenator, sondern die Gauck-Behörde, die mit ihren Überprüfungsberichten am Anfang dieses und jedes künftigen Falles steht. Sein Selbstverständnis als „ehrlicher Makler“, das wurde bei der Studentendemonstration vor seiner Behörde wie bei seinem Auftritt in der Humboldt-Universität schon deutlich, wird Jochen Gauck schwer aufrechterhalten können. Der klassische Mechanismus, nach dem der Überbringer der schlechten Nachricht zur Verantwortung gezogen wird, funktioniert. Daß Gauck den Protest umstandslos auf dessen „SED-Steuerung“ zurückführte, wird all diejenigen bestärken, die ihr Schlußstrichbedürfnis künftig in den Angriffen auf die Stasi-Untersuchungsbehörde bündeln.

Ihren eloquentesten Handlanger haben die Gauck-Gegner derzeit in Stefan Heym. Mag ihn auch persönlich die Angst vor Ungerechtigkeit und das Bemühen um Wahrheit zum Protest motivieren, so liefert er doch denen die probaten Formeln, denen es weder um Gerechtigkeit noch um Wahrheit geht. „Gottgleich“, so Heym, werde in der Gauck-Behörde „über die Schicksale der Bürger entschieden“, wie sonst nur noch in der Berliner Treuhandanstalt; sogar bei der Inquisition sei es milder zugegangen; „wenn einer die Folter lebend überstand, wurde ihm vergeben“. Bei McCarthy sei „man wenigstens angehört“ worden. Bischof Krusche bringt das Unbehagen an der Stasi- Hinterlassenschaft auf eine zwar sanftere, in der Konsequenz jedoch gleichlautende Parole wie Stefan Heym: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren Akten.“

Es wäre ein glücklicher und wohl eher unwahrscheinlicher Zufall, wenn die Informationen der Gauck- Behörde nicht auch in prekärer Weise öffentlich — künftig auch privat — benutzt, verwertet und instrumentalisiert würden. Doch sie bilden — bis auf weiteres — auch die konkrete Grundlage für die strafrechtliche Aufarbeitung sowie die gesellschaftliche und persönliche Erinnerung. Wer die Gauck-Behörde — bereits vor der erwarteten Schockflut nach dem 1. Januar 1992 — für Verfehlung oder Unbeholfenheit im Umgang mit den von ihr erbrachten Informationen verantwortlich macht, unterminiert mit der Behörde zugleich die bloße Möglichkeit einer gelingenden Aufarbeitung selbst. Denn ohne deren konkrete Erkenntnisse und den Zwang, den sie auf die Täter ausüben, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, verkäme zugleich die Chance, diesmal anders als nach 45 mit den massenhaften Verstrickungen einer ganzen Gesellschaft öffentlich umzugehen.

Gesellschaft im Zugzwang

Hier, bei dem Unvermögen oder Unwillen der Gesellschaft, das Stasi- Erbe anzunehmen und Formen der Auseinandersetzung zu entwickeln, liegt das Problem, das sich in den jüngsten Angriffen auf die Akten- Behörde ausdrückt. Diesem Problem ist mit keiner Behördenordnung beizukommen. Es verweist vielmehr darauf, daß der Staat mit dem Stasi-Akten-Gesetz ein Experiment in Gang gesetzt hat, auf das die Gesellschaft in Ost und West nicht vorbereitet ist. Gelingt es nicht, etwa in der Tribunal-Debatte, sehr schnell konkrete, plausible Formen der Auseinandersetzung zu entwickeln, die den Opfern Genugtuung, aber auch den Tätern die Chance auf Einsicht, Offenlegung und humane Existenz eröffnet, scheint der Erfolg der Anti- Gauck-Kampagne programmiert. Mit ihm aber kämen allein die Überlebenskünstler des Regimes zu ihrem Recht, die seit der Wende an der Vertuschung des Unrechts arbeiten. Matthias Geis

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