DEBATTE: Über den Tellerrand schauen
■ Ein Beitrag zur Strukturreform von TU-Vizepräsident Wolfgang Neef
Die Strukturreform an der TU Berlin scheint festgefahren: Dabei hätte der Kompromiß ja was werden können. Er ist eine flexiblere Reaktion der Universität auf die gesellschaftlichen Anforderungen, rationalere Mittelverteilung, größere Transparenz, mehr interdisziplinäre Kooperation insbesondere in den Studiengängen, eine deutliche Verbesserung des Managements und der Leistung in der Lehre sowie Verbesserung der Reformfähigkeit generell. Nun kann man bezweifeln, daß eine hauptsächlich organisatorische Reform außer Reibungsverlusten tatsächlich solche Veränderungen bringt. Aber die Universitäten stehen vor so großen Problemen, gleichzeitig sind die Erfahrungen mit staatlich inszenierten Reformversuchen seit 1975 so miserabel, daß ein Sprung ins kalte Wasser, durch die Hochschule selbst unternommen, wohl die einzige Möglichkeit ist. In 20 Jahren haben sich die Studentenzahlen der TU etwa vervierfacht, die Hochschule ist ein Großbetrieb geworden — aber ohne die Entscheidungs- und Kontrollmechanismen und ohne die Professionalisierung des Personals, die ein solcher Betrieb zum Überleben braucht, und ohne die notwendigen demokratischen und innovativen Strukturen, die für Forschung und Lehre unentbehrlich sind.
Die gesellschaftlichen Anforderungen einer Massenausbildung überfordern die Organisation und das wissenschaftliche Personal systematisch: Die Professoren sollen mit Forschung, Lehre, Management und Personalführung mehrere Funktionen ausfüllen, sie sind nur für eine ausgebildet (Forschung) und für die anderen bestenfalls zufällig qualifiziert. Das war erträglich, als die Fachbereiche und Institute noch »Familienbetriebe« waren, verheerend wird es in Untergliederungen einer Großorganisation. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter — zu 80 Prozent auf Zeitstellen — sind zerrissen zwischen dem routinemäßigen Einsatz im Massenlehrbetrieb und ihrer Aufgabe zu promovieren; die WMs auf unbefristeten Stellen stecken in Sackgassen ohne weitere berufliche Perspektive. Die Mehrzahl der Fachbereiche vermeidet alles, was ihre festgefahrenen Bahnen stören könnte — innovative Ideen kommen allenfalls von Außenseitern oder von zentralen Instanzen.
Diese haben sich an der TU Berlin in den vergangenen Jahren redlich bemüht, einiges im inneren Räderwerk zu verbessern. Sie haben, und das ist hauptsächlich das Verdienst von Mittelbau und Studenten und an einigen Stellen sogar des Präsidenten, sogar einige neue Ideen entwickelt und weitgehend realisiert, wie ein internes Forschungsförderungsprogramm, Innovationstutorien, Evalation der Lehre und Konzepte für interdisziplinäre Zentren. Eine erfolgreiche Strukturreform, die wenigstens an einigen Stellen Fächergrenzen überschreiten hilft und besonders Gestaltung und Management des Studiums vom alltäglichen Disziplinengerangel entkoppeln soll, wäre die konsequente Fortsetzung dieser ersten Schritte. Gemessen an den auf die TU zukommenden Notwendigkeiten, an den gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen ist zwar auch dies noch viel zuwenig — vergleicht man aber mit anderen deutschen Hochschulen (in Europa tut sich weitaus mehr), so stünde die TU mit einer solchen Reform nicht schlecht da. Auch wenn der jüngste und erst einmal auf Eis gelegte Vorschlag Defizite und Mängel hat — eine ernst zu nehmende Alternative wurde bislang nicht angeboten. Was statt dessen passiert, war ein erneuter Erfolg einer wechselnden Koalition der Verhinderer: Quer über die hochschulpolitischen Fraktionen hatten zu viele für ihre persönlichen beziehungsweise fachdisziplinären Interessen etwas zu verlieren. Sogar den Studenten, denen das alles zu Recht nicht weit genug geht, war plötzlich keine Veränderung und statt dessen inhaltsleere Rebellion lieber. Einigen Kleingärtnern an dieser Universität täte ein Blick über den Tellerrand mal gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen