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DEBATTEGuter Ton, schlechter Text

■ Warum Jörg Haider jetzt auch in Deutschland wie ein Popstar gefeiert wird

Rolf Schlierer konnte sich kaum halten. Mal krümmte sich der oft als Schönhuber-Kronprinz gehandelte Rep-Sonnyboy vor Lachen, mal klatschte er fest mit den Händen. Auch sein Parteikollege Christian Käs war entzückt: „Das war sehr imponierend“, fand der Baden-Württemberger Rep-Chef nach dem gelungenen Abend.

Mit den beiden haben sich ein paar hundert Stuttgarter Bürger am vergangenen Montag abend an der Wortgewalt eines Mannes delektiert: Jörg Haider, der Chef der rechtspopulistischen „Freiheitlichen Partei Österreichs“, war der Einladung der Bad Cannstätter FDP gefolgt und gab seine Thesen im vollgefüllten Kursaal zum besten. Und man muß kein großer Prophet sein, um vorauszusehen, daß auch sein Auftritt am heutigen Dienstag im bayerischen Landshut ganz nach dem Geschmack des populären Österreichers wird.

Denn Haider ist ein grandioser Entertainer. In Stuttgart wurde gejohlt und geklatscht und gelacht: Über das Grüppchen von Demonstranten vor der Tür — Haider: „Wir sind die ersten in Europa, und das sind die letzten aus Moskau“; vor allem aber wurde gezetert und geschimpft: über den in Brüssel beheimateten Moloch EG, über diejenigen, die nach Westeuropa fliehen: „Wie Österreich“, wußte Haider die Erwartungen seines Publikums genau zu treffen, „ist auch Deutschland kein Einwanderungsland, in das beliebig alles abgeladen werden kann...“, der Rest ging im Gekreische und Geklatsche unter. Er könne, setzte Haider noch eines drauf, gar nicht verstehen, wie man das denn in Deutschland so weit treiben lassen konnte.

„Der Jörg, der sich was traut“

Bekannte Sätze, nichts Neues, mag man meinen, zum Überdruß gehört von heimischen Rechtsauslegern, die ähnliches nur nicht so geschliffen und rhetorisch wohlüberlegt zu sagen pflegen. Dabei ist es zu einfach, den „Jörg, der sich was traut“ (so wirbt er um die Gunst der Österreicher) ins Kästchen mit dem rechtsradikalen Etikett zu stecken; lange eingeübte Parolen zu rufen, mag zwar verlockend sein, wird dem Phänomen Haider aber nicht gerecht. Der neuen europäischen Rechten — deren wohl charismatischster Exponnent er ist — ist mit dem alten Antifaschismus kaum beizukommen.

Haider feiert seine Popularität gerne als „Sieg der öffentlichen Meinung über die veröffentlichte Meinung“. Denn die journalistische Zunft Österreichs ist dem Polit-Provokateur tatsächlich nicht wohlgesonnen. Doch die wenigsten bekommen das „Phänomen Haider“ in den Griff. Schon die Adjektive, die an ihm haften, zeigen das. Rechtspopulistisch, nationalliberal wird seine FPÖ meist genannt, und das sind schon die exaktesten Begriffe. Oft reicht die Phantasie nur bis zum Wort „rechtsgerichtet“. Und dennoch sind diese drei Termini die einzigen, die mit gutem Gewissen gebraucht werden können. Denn die klassischen Begriffe — rechtsextrem oder rechtsradikal — taugen zu kaum mehr denn zur eigenen Selbstvergewisserung und lauten Kundmachung, mit solch einem Schurken nichts zu tun haben zu wollen. Dabei könnte der Versuch, das „Phänomen Haider“ zu ergründen, in höchstem Maße lohnend sein. Denn erst wenn man den Blick frei macht auf die Unterschiede zwischen der neuen Rechten, die Haider repräsentiert, und der klassischen rechtsradikalen Szene, kann der Erfolg von Haider und seinen Kumpanen verstanden werden.

Der Erfolg der FPÖ in Österreich — übrigens ebenso wie der potentielle Erfolg der „Republikaner“ (denn die ziehen in die Landtage ein, obwohl sie einen Mann an der Spitze haben, der das Charisma eines Besenstils besitzt) — ist vor allem ein Phänomen Österreichs und der BRD. Zu Le Pen in Frankreich gibt es zwar Ähnlichkeiten, aber auch gravierende Unterschiede. Einer ist, daß sich in Österreich wie der Bundesrepublik seit 1945 ein politisches System verfestigt hat, das auf einer großen bürgerlichen Partei basiert, die rechts von sich keine Herausforderer duldete, wobei in Österreich die tiefe Krise der traditionell größten bürgerlichen Partei verschärfend hinzukommt: Seit gut zwei Jahrzehnten ist die ÖVP ohne realistische Chance, die Sozialdemokratie als stärkste Partei zu überholen. Sie sucht verlorenes Terrain in der umstrittenen politischen Mitte und wird so an der rechten Flanke verletzbar. Daß sich früher oder später in diesem Vakuum neue politische Formationen bilden würden, mußte jedem klar sein.

Wobei es Haider da weit einfacher hatte als der bayerische Schönhuber. Haider wirkt nicht nur smart, relativ hübsch, adrett und mit einem einzigartigen Instinkt für Stimmungen versehen (Eigenschaften, die dem altbackenen Rep-Boß allesamt fehlen), er verfügte auch noch über den nicht zu unterschätzenden Vorteil, seinen Weg nach rechts als Chef einer im politischen Geschäft etablierten und angesehenen Partei anzutreten. Denn die FPÖ wurde, obzwar einst als Sammlungsbewegung verstreuter Nazis gegründet, in den späten siebziger und achtziger Jahren — zumindest was die Parteispitze betrifft — zu einer authentisch liberalen Partei. Erst als die Führung die Partei de facto zum Juniorpartner der Sozialdemokraten machte, gelang Haider mit Hilfe der aufgebrachten rechten Basis 1986 der Putsch.

Seither schwimmt er auf den Stimmungen und Phobien der Menschen von Erfolg zu Erfolg. Er bündelt Ängste vor Fremdbestimmung (wie etwa aus der EG-Zentrale) und Einwanderung zu einem wenig konkreten, dafür übelschmeckenden Polit- Cocktail, der dann mit Propagandabegriffen wie dem „Menschenrecht auf Heimat“ versehen wird. Diese Gefühlspolitik wird in Wahlkämpfen vollends zur Hetze. Der Slogan „Wien darf nicht Chicago werden“, der die FPÖ bei den letzten Gemeinderatswahlen (dem Stadtparlament) zur zweitstärksten Partei machte, war unschwer zu erkennen. Dagegen sind die paar flotten Sprüche, in denen Haider das NS-Regime relativierte (und die ihn außerhalb Österreichs berühmt machten) von geringer Relevanz. Auch für Haider selbst. Problemlos kann er sich tags darauf von Sätzen wie jenem von der ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich distanzieren.

Ein gänzlich neuer Politikertypus

Dennoch ist seine Partei mit dem ganz rechten Rand des politischen Spektrums eng verwoben: In seinem Beraterstab befinden sich „klassische“ Rechtsextremisten wie der FPÖ-Grundsatz-Denker Andreas Mölzer, der mit seiner Warnung vor der drohenden „Umvolkung“ der „deutschen“ Österreicher durch geburtenstarke Zuwanderer einiges Aufsehen erregte.

Jenseits von allen politischen Inhalten ist es jedoch der Politikertypus Haider, der Erfolg hat. Rotzfrech, mit Spaß an der Attacke, präsentiert er sich dem Publikum, das in unseren Breiten nicht eben verwöhnt ist von Politikern mit Witz. Haider macht die Politik zur Show. „Aus der Düsternis muffiger Hinterzimmer sind sie hinausgetreten in das Scheinwerferlicht von Fernsehkameras“, schreibt der Wiener Journalist Hans- Henning Scharsach über die Cosa Nostra der FPÖ in einer eben erschienenen, ersten kritischen Biographie Haiders. Warum, habe ich in Stuttgart einen Mann gefragt, der „sehr beeindruckt“ war, wird ihm, dem Fremden, denn so zugejubelt? „Weil es bei uns solche Politiker nicht gibt“, urteilte der Schwabe knapp, „in Deutschland gibt es nur mehr blutleere Berufspolitiker.“

Eine bittere Wahrheit, aber Wahrheit immerhin. Und man ist an die marodierenden Kids aus Rostock erinnert, die der Stern interviewte und die außer Schönhuber und Frey vor allem einen Politiker toll fanden: Gregor Gysi. Verkehrte Welt, aber es macht eben doch auch der Ton die Musik. Und nicht nur der Text.

Auch Haider ist ein guter Musikant unter gichtklammen Pianisten. Gerade das macht ihn gefährlich: Er spielt schlechte Stücke, die jedoch mit Bravour. Es sind diese unbestreitbaren Talente des smarten Politrowdies, die ihn einzigartig machen in Europa. Er ist mehr als nur einer unter ein paar Rechtsaußen-Politikern auf dem Kontinent. Haider ist der Hoffnungsträger der neuen europäischen Rechten. An ihm und seinen Erfolgen werden sich die Le Pens und Schönhubers zu messen haben. Robert Misik

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