: DDR und Krimis
Der DDR-Literaturwissenschaftler Ernst Kaemmel bezeichnet 1962 den Kriminalroman als ein „Kind des Kapitalismus“, der nur „unter den Bedingungen des verfaulenden Imperialismus“ entstehen könne. Tja, Kaemmel, die Geschichte hat dich widerlegt. Hättest mal besser den ollen Marx studieren sollen. Der sah das Krimi-„Problem“ nämlich etwas lockerer. In seinen Theorien über den Mehrwert schrieb er: „Er (der Verbrecher) produziert nicht nur Kompendien über das Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbücher, sondern auch Kunst, schöne Literatur, Romane und sogar Tragödien (...) Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation.“ Nun hat Herr Kaemmel sich vielleicht gedacht, das Stagnation, ist der Sozialismus erst einmal erreicht, gar nicht so schlecht ist (einige Silberpappeln im ZK sind ja heute noch dieser Meinung). Oder er glaubte naiverweise dem 'Neuen Deutschland‘, daß es im Arbeiter- und Bauernparadies, außer der verabscheuungswürdigen Republikflucht, so etwas wie Verbrechen schlicht nicht geben würde. Wie auch immer, der Verbrecher ist da und auch die Menschen, die über ihn Romane schreiben. Aber natürlich geht es in den DDR-Krimis nicht um psychophatische Killer, spektakuläre Banküberfälle oder verzweifelte Junkies. Es geht um kleine Delikte, die - zumindest aus westlicher Sicht - als so schwerwiegend nicht angesehen werden können. So bringt sich der DDR-Krimi durch den geringen kriminellen Anlaß weitgehend selbst um seine Wirkung. Ein gutes Beispiel dafür ist die bekannte DDR -Schriftstellerin Barbara Neuhaus. Geboren als Barbara Kurzer in Reichenstein (heute Polen) wurde sie, nach ihrer Arbeit in der Landwirtschaft, Redakteurin. Seit 1966 ist sie freie Schriftstellerin und lebt heute in Berlin. In ihrem Krimi Ich bitte nicht um Verzeihung begeht die gute Mutter und Hausfrau aus dem verzweifelten Wunsch nach Anerkennung heraus einige kleinere Ladendiebstähle - bis sie erwischt wird. Der Richter verurteilt sie zu 18 Monaten, nach einem Jahr wird sie entlassen. Und was hat sie gelernt in dem Jahr? Daß sie es nicht nötig hat, sich zu entschuldigen (siehe Titel). Ein Thriller ist das nicht. Eher ein kleiner, mutiger Schritt in die richtige Richtung. (rororo 2747)
Karl Wegmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen