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DDR stellt sich Vergangenheit

■ Modrow bekennt sich zur gesamtdeutschen Verantwortung für den Holocaust / Zu Entschädigungszahlungen bereit / Bronfman nach Jerusalem und Ost-Berlin

Tel Aviv/Berlin (taz/dpa/afp) - Ein historischer Schritt, wenngleich längst überfällig: Die DDR hat sich am Donnerstag erstmals zur Verantwortung aller Deutschen für die Verfolgung und Ermordung von Juden unter dem Nationalsozialismus bekannt und ihre Bereitschaft zur „solidarischen materiellen Unterstützung“ ehemals Verfolgter bekräftigt. Ein entsprechendes Schreiben von Ministerpräsident Hans Modrow an den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Edgar Bronfman, wurde in Jerusalem als ein „positiver Schritt in die richtige Richtung“ gewertet. Das Schreiben wurde gleichzeitig an die israelische Regierung geschickt. Nach Bekanntwerden des Briefes kündigte WJC-Sekretär Singer an, Bronfman werde in der kommenden Woche in Israel erwartet, um mit der Regierung über weitere Schritte zu beraten. Singer gab der Hoffnung Ausdruck, daß der Modrow-Erklärung „materielle Resultate“ folgen. „Wir sind nicht an Worten interessiert“, erklärte der WJC-Sekretär. Anschließend will Bronfman zu Gesprächen mit Modrow nach Ost-Berlin weiterreisen.

„Die DDR anerkennt die Verantwortung des gesamten deutschen Volkes für die Vergangenheit“, heißt es in dem Brief Modrows. „Diese ergibt sich aus der tiefen Schuld des Hitlerfaschismus, der im Namen des deutschen Volkes schlimmste Verbrechen am jüdischen Volk begangen hat. Unverändert steht die DDR zu ihrer Verpflichtung, alles gegen Rassismus, Nazismus, Antisemitismus und Völkerhaß zu tun, damit auch künftig von deutschem Boden nie wieder Krieg und Faschismus, sondern nur noch Frieden und Völkerverständigung ausgehen. (...) Sie anerkennt ihre humanitären Verpflichtungen gegenüber den Überlebenden des jüdischen Volkes, die unter Naziunterdrückung gelitten haben, und bekräftigt die Bereitschaft zur solidarischen materiellen Unterstützung ehemaliger Verfolgter des Naziregimes jüdischer Herkunft.“ Vierzig Jahre lang hatte die Regierung Fortsetzung auf Seite 2

in Ost-Berlin die Mitverantwortung

für den Holocaust mit der Begründung bestritten, daß Sozialisten und Kommunisten ebenfalls Verfolgte des NS -Regimes gewesen seien und die Bundesrepublik der Nachfolgestaat des Dritten Reichs gewesen sei. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, begrüßte den „selbstverständlichen“ Schritt Modrows, wies aber zugleich darauf hin, daß er wesentlich früher hätte erfolgen müssen.

Die jüngste Wende der DDR fällt in eine Zeit intensiver Bemühungen, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Der stellvertretende israelische Außenminister Benjamin Netanyahu sagte denn auch, die Verhandlungen zwischen beiden Staaten würden, wie in Kopenhagen

kürzlich vereinbart, beschleunigt weitergehen. Zwischen der DDR und Vertretern der jüdischen Gemeinden hatte es bereits seit mehreren Jahren Kontakte gegeben. Im Oktober 1988 hatte der damalige DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker Galinski versichert, die DDR sei „im Prinzip“ bereit, 100 Millionen Dollar als symbolische Wiedergutmachung an die „Jewish Claims Conference“ zu zahlen. Zudem hatte die DDR ihrer aus etwa 500 praktizierenden Gläubigen bestehenden jüdischen Gemeinde einige Zugeständnisse gemacht, indem sie beispielsweise 1988 dem Wiederaufbau der großen Synagoge in der Ost-Berliner Straße zustimmte.aw/b.s.

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