: DDR bei letzter 4+2-Runde ausgebootet
■ Morgen soll Vertragswerk zwischen BRD, DDR und den Siegermächten fertig sein / Bei letzter Verhandlungsrunde säuberte de Maiziere auf Bonner Druck seine Delegation von kritischen Köpfen
Von Andreas Zumach
Berlin (taz) - Im Schloß Niederschönhausen bei Ost -Berlin begann gestern die letzte sogenannte 4+2 -Verhandlungsrunde über die „Abschließende Regelung der äußeren Aspekte der deutschen Einheit“. Bis spätestens morgen abend wollen die Spitzenbeamten aus den Außenministerien der BRD, der DDR sowie der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien das Vertragswerk fertigstellen. Bereits am 12. September wollen es die sechs Außenminister in Moskau unterzeichnen. Doch bis zu Sitzungsbeginn gestern morgen war außer der Präambel und einigen Anhängen noch kein Buchstabe des Abkommens fertig ausgehandelt.
Vor allem zwischen der BRD und den drei westlichen Siegermächten auf der einen und der UdSSR auf der anderen Seite gibt es nach wie vor gravierende Kontroversen, unter anderem über die Verifikation sicherheitspolitischer Vereinbarungen, die Rechte von Nato-Stationierungstruppen auf künftig gesamtdeutschem Boden oder die Entschädigung sowjetischer Zwangsarbeiter (siehe nebenstehenden Kasten). Die Übergangsregelungen für den vorübergehenden Aufenthalt sowjetischer Truppen auf ehemaligem DDR-Territorium sowie der westlichen Alliierten in West-Berlin sind noch ebenso umstritten wie Formulierungen hinsichtlich der zwischen 1945 und 1949 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durchgeführten Bodenreform.
Gerade noch rechtzeitig vor der deutschen Vereinigung soll das Vertragswerk am 2. Oktober in New York den 35 Außenministern der KSZE zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Um diesen ehrgeizigen Zeitplan trotz der nach wie vor bestehenden Sachdifferenzen noch einzuhalten, bemühte sich die Bonner Regierung im Verein mit DDR-Regierungschef und -Außenminister Lothar de Maiziere im Vorfeld der letzten Verhandlungsrunde um die Ausschaltung etwaiger Risiken.
Turnusgemäß sollte eigentlich der Staatssekretär im DDR -Außenministerium, Helmut Domke, die Sitzung in Niederschönhausen leiten. Doch nachdem Kohl bei de Maiziere interveniert hatte, entzog dieser Domke kurzfristig den Vorsitz. Den übernahm gestern stattdessen der Leiter der BRD -Delegation, der politische Direktor im Bonner Auswärtigen Amt, Dieter Kastrup.
Der ursprünglich der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt entstammende, unter Ex-Außenminister Meckel (SPD) eingestellte Staatssekretär gilt de Maiziere und den Bonnern als unbequemer Mann. Deutlich, wenn auch im Endeffekt vergeblich, hatte er bei den Verhandlungsrunden der letzten Monate eigenständige DDR-Positionen vertreten. Noch bei einem gemeinsamen Auftritt mit Hans-Dietrich Genscher Ende August vor der Genfer Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag wagte er es, über den gemeinsam verkündeten Verzicht auf eigene A-, B- und C-Waffen hinaus auch noch die Verankerung dieser Erklärung im Grundgesetz sowie eine atomwaffenfreie Zone für ganz Deutschland vorzuschlagen. Beide Forderungen werden von Bonn strikt abgelehnt.
Domke fungiert in Niederschönhausen zwar weiter als Leiter der DDR-Delegation. Doch diese wurde kurzfristig fast völlig neu zusammengesetzt. Der unter Meckel (SPD) geschaffene, mit einer Reihe kritischer Geister aus der BRD besetzte Planungsstab wurde nach Rücktritt der sozialdemokratischen Minister aufgelöst. Sein Leiter, der Westberliner Friedensforscher Professor Ulrich Albrecht, sowie die meisten seiner Mitglieder verließen - mehr oder weniger freiwillig - das Ostberliner Außenministerium.
Ihren Platz in der DDR-Delegation besetzen jetzt Angehörige des Ministeriums aus der Zeit vor den Wahlen - darunter der damalige stellvertretende Außenminister und Delegationsleiter bei den 4+2-Gesprächen bis zum 18. März, Krawatsch (SED). Damit auch ja nichts schiefgeht, wurde als Aufpasser in letzter Minute der ehemalige Bürochef Heiner Geißlers in der Bonner CDU-Zentrale, Fritz Holzwarth in die DDR-Delegation nachbenannt. Holzwarth wurde vor einiger Zeit im Wege der „brüderlichen“ Amtshilfe ins Ostberliner Außenministerium abgestellt.
So enden die von der Bundesregierung immer mit ausdrücklicher Betonung „2+4-Gespräche“ genannten Verhandlungen zweier angeblich souveräner deutscher Staaten mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges genauso, wie sie Mitte Februar dieses Jahres begonnen haben: mit einer Ausschaltung der DDR und der Brüskierung ihrer Poltiker. Nach wochenlangen Geheimsondierungen in den Hauptstädten der Siegermächte, über die Ostberlin nicht informiert wurde, handelte Genscher damals am Rande der Außenministerkonferenz der Nato- und Warschauer Vertragsstaaten im kanadischen Ottawa Rahmen und Inhalt für „2+4“ im Alleingang mit Schewardnase, Baker, Dumas und Hurd aus. Der seinerzeitige DDR-Außenminister Oskar Fischer wurde nicht beteiligt und buchstäblich in den Kulissen des Ottawaer Konferenzzentrums stehengelassen, der in Bonn weilende Ministerpräsident Modrow von Kohl erst informiert, als Genscher in Ottawa alles klargemacht hatte.
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