DDR-Kulturexport: Der Westagent der Ostrocker
Peter Schimmelpfennig hat viel Musik in die Bundesrepublik geholt. Besonders erfolgreich war der 65-Jährige mit den "Pilzköpfen vom Alexanderplatz" - er brachte die DDR-Gruppen Karat und Puhdys groß raus.
Rockmusik ist längst nicht mehr nur was für junge Leute. Im Gegenteil: Noch mehr als jugendliche (Indie-)Rockfans hat Berlin ältere Bewohner, die am liebsten Bands sehen, die ihren Zenit schon in den Achtzigern überschritten hatten. Das zeigt sich etwa an diversen "Das war unsere Jugend"-Festivals, die riesigen Zulauf haben.
Am kommenden Samstag spielen beim schon traditionellen "Ostrock-Klassik"-Open Air in der Wuhlheide die Puhdys, City und Karat in Begleitung des Filmorchesters Babelsberg. Die drei Gruppen begannen ihre Karriere allesamt vor weit über drei Jahrzehnten; sie galten fast bis zum Ende der DDR als der Gipfel des Ostrock, zumindest was den kommerziellen Erfolg betraf. Noch heute spielen sie annähernd in den Urbesetzungen.
Peter Schimmelpfennig, der seit vier Jahrzehnten in Wilmersdorf wohnt, wird nicht unter den schätzungsweise 17.000 Besuchern sein - obwohl er Zeit hätte und einige Gründe, bei den Liedern der Bands in Erinnerungen zu schwelgen. Nicht wie die meisten Fans, die dann an die eigene Jugend denken, in der man vielleicht auf dem Dorfbums bei Citys "Am Fenster" (nach der Wende zum größten Rocksong der DDR gekürt) das erste Mal geknutscht hat. Denn zum einen hatte Schimmelpfennig seine wilde Teenie-Zeit längst hinter sich, zum andern war ostdeutsche Rockmusik weit über seine Jugendzeit hinaus im Westen völlig unbekannt.
Der 65-Jährige verbindet mit den Bands trotzdem ein wichtiges Kapitel seines Lebens, das irgendwie auch ein Kapitel deutsch-deutscher Musikgeschichte ist. Er hat die Aushängeschilder des Ostrock in den späten Siebzigern und Achtzigern auf seinem Label Pool Musikproduktion im Westen veröffentlicht und dort auch ihre Konzerte organisiert. Mit erstaunlichem Erfolg: Die Puhdys und Karat füllten Anfang der Achtziger sogar die Berliner Waldbühne.
Schimmelpfennigs Aufstieg zum Topwestagenten für den Ostrock hatte nichts mit Affinität zur DDR zu tun und wenig mit seinen persönlichen musikalischen Vorlieben. Der Hamburger aus gut situiertem Hause, der 1963 vor der Bundeswehr nach Westberlin flüchtete, liebte schwarzen Jazz und Soul; er hasste das Grau der DDR, das er beim Durchqueren auf der Transitstrecke sah. Bis er eines Tages 1973 durch ein Westfunkloch fuhr und nach dem Drehen am Radioknopf zufällig eine Band singen hörte: "Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen".
Es war ein (wirklich guter) Puhdys-Hit aus dem heute legendären Defa-Film "Die Legende von Paul und Paula". Irgendwie blieb ihm der Song so im Gedächtnis haften, dass er sich zwei, drei Jahre später doch mal mit dem Bassisten der Puhdys in Ostberlin traf. Anschließend kratzte er 25.000 Mark zusammen und machte ihrer Plattenfirma Amiga das Angebot, die Spitzenband der DDR im Westen zu vermarkten.
Den Jazzer John Coltrane verehren und die Puhdys verkaufen - für Schimmelpfennig war das kein Problem. "Im Musikgeschäft will jeder Kohle machen, ich natürlich auch. Aber ich mochte die Musik der Puhdys wirklich", sagt er rückblickend. "Deutsche Rockmusik gabs ja bei uns gar nicht, abgesehen von Udo Lindenberg. Außerdem war die Bundesrepublik Niemandsland für Ostmusik, also eine echte Marktlücke."
Das nächste große Ding!
Die zu füllen, erwies sich als schwierig, da sie von den Westlabels nicht gesehen wurde. Keiner wollte die von Schimmelpfennig als nächstes großes Ding gepriesenen Ostrocker haben. Erst nachdem er 1976 die Puhdys zu einem Konzert in die Hamburger "Fabrik" holen dürfte und sie dort als "Pilzköpfe vom Alexanderplatz" gefeiert wurden, änderte sich das.
Weil der Exotenrock im Westen ganz gut lief, gründete der umtriebige Hanseat rasch ein eigenes Label und angelte sich gleich die nächstberühmtesten DDR-Bands, Karat und City. "Ich fuhr dann öfter rüber, was für mich anfangs ein Kulturschock war. Aber im Laufe der Zeit wurde die DDR für mich richtig spannend, weil ich ungeahnte Seiten entdeckte. Da wurde genauso gesoffen, gevögelt, geklaut und Rockmusik gemacht wie bei uns - nur das Reisen ging halt nicht." Er habe dann so einen leicht missionarischen Eifer entwickelt, den Leuten im Westen die vielfältige DDR-Szene ein bisschen nahezubringen.
Nur die Elite kommt rüber
Tatsächlich konzentrierte er sich mit seinem Label auf die Ostrockelite, "um den Markt nicht zu überschwemmen". Allein Karat verkauften in den Achtzigerjahren von ihren drei im Westen veröffentlichten Alben rund eine Million Stück. Friedensbewegter Softrock wie "Der blaue Planet" kam damals auch bei den Westdeutschen gut an.
Doch während die Ostrockgrößen im Westen einige Erfolge feierten, wurden sie zu Hause von immer mehr jungen Ostlern als etablierte Staatsrocker geschmäht. "Na ja, sie waren wohl auch irgendwann entbehrlich", sagt Schimmelpfennig ohne Häme. Den Unterschied zur neuen Generation DDR-Bands hatte er selbst erlebt. Im Falle der Punkband Feeling B half er sogar, dass die beim Staatslabel Amiga kurz vorm Ende der DDR eine Platte aufnehmen konnte. Mit Aljoscha Rompe, dem unbekümmert anarchistischen Sänger der Band, war er schon Jahre vorher durch die Ostberliner Punkschuppen gezogen. "Der hatte mich einfach angesprochen, weil er von meinen Kontakten zu Amiga wusste. Wir verstanden uns hervorragend, weil der auch so was Verrücktes hatte."
Das klingt kokett, aber Schimmelpfennigs Sympathie fürs Schräge und Unangepasste lässt sich im Backkatalog seines Labels nachvollziehen. Da finden sich die Leningrad Cowboys neben Ingo Insterburg, die Dead Kennedys neben Sowjetbands und Jazzern aus Polen. Nach seinem Einstieg in das von Burkhardt Seiler gegründete legendäre Independentlabel Zensor holte er zudem Künstler wie Sonic Youth und die Neville Brothers nach Deutschland. In Leningrad hatte er vor dem Mauerfall nebenbei das erste sowjetische Rockfestival mit Westbands organisiert.
Gefährlicher als Raketen
Dass die Plattenfirma Amiga den Devisenbeschaffer der DDR-Popindustrie nach einem Deal mit einem Westlabel ausbootete und seine goldenen Zeiten vorbei waren, sieht er heute ohne Groll. "Geld hat mir nie viel bedeutet. Mal habe ich drin geschwommen, dann wieder viel verloren. Hauptsache, nicht langweilig. Vielleicht konnte ich ja ein bisschen dazu beitragen, dass die Musik über die Mauer hinweg wirkte. Viel gefährlicher als die Cruise-Missile-Raketen war doch die Kultur, die in die Köpfe ging." Ende der Achtzigerjahre habe er schließlich auch Westrock in die DDR vermittelt: James Brown beispielsweise und Solomon Burke.
Am Kulturaustausch werkelt Schimmelpfennig immer noch. Demnächst fliegt er nach Peking, wo er an einem Label beteiligt ist. Er zeigt eine CD mit einer bezaubernden chinesischen Sängerin. "Irre, wie die singt. Wie Juliette Gréco." Das könne man den Deutschen doch nicht vorenthalten. Und ein tolles mongolisches Duo habe er auch noch.
Den nahen Osten hat er keineswegs vergessen. Gern möchte er wieder was mit Uschi Brüning machen, jener Jazzsängerin, von der viele Musikexperten glauben, ihr hätte der Verbleib in der DDR wirklich eine Weltkarriere vermasselt. Im Jahr 1986 hatte Schimmelpfennig von ihr schon mal eine Platte im Westen veröffentlicht, einfach weil sie ihm gefiel und nicht aus kommerzieller Erwartung.
Ganz anders als bei den Puhdys, mit denen er 1980 sogar den angloamerikanischen Markt erobern wollte. Das in London produzierte englische Best-of-Album, in das er viel Geld gesteckt hat, floppte jedoch grandios.
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