„DDR-Kommunisten“ lernen Wasserkochen

■ Das erste deutsch-deutschen Marketing-Symposium von Studenten für Studenten fand am Wochenende in Leipzig statt

Der gleichgültige Egoist, der konservative Karrierist, daneben der Aufstiegsorientierte mit sozialer Verantwortung und der alternative Leistungsverweigerer. Es gibt sie in Ost und West. Überraschendes Resultat einer Vergleichsstudie über den deutschen Studenten. In rund 1.400 Interviews wurden Verhaltens- und Denkweisen an den Universitäten von Frankfurt am Main und Leipzig erfragt und mittels sieben charakteristischer Studenten-Typen schematisiert.

Neben den vier gesamtdeutschen Typen offenbaren die drei anderen vorhandene Gegensätze: Nach den zugrundegelegten Kriterien waren „der bürgerliche Kumpel“ und „der alternativ orientierte Intellektuelle“ lediglich in Frankfurt zu finden. Der letzte und siebente Typ ist dagegen made in GDR, ein trauriges Produkt des hiesigen Erziehungssystems. Die ihm zugeschriebenen Eigenschaften und seine Bezeichnung in besagter Studie als „DDR-Kommunist“ lösten während der Auswertungsveranstaltung im Rahmen des ersten deutsch -deutschen Marketingsymposiums bei den Leipziger Studenten einige Aufregung aus. Als Mann ohne Eigenschaften hat dieser Typ - laut Studie - weder eine eigene Meinung noch irgendwelche nennenswerten geistigen oder materiellen Interessen. Sein Denken war vornehmlich an den deklarierten Werten des DDR-Sozialismus ausgerichtet.

Den Vorwurf bei der Auswertung der Fragebögen, die Leute in diesem Lande zu sehr von außen betrachtet zu haben, muß sich der Initiator der Studie, Joachim Kellner, wohl gefallen lassen. Doch der Unternehmensberater für Marketing und Kommunikation sowie Lehrbeauftragte an der Uni Frankfurt hatte natürlich einen Trumpf: Die Objektivität der Zahlen ist nicht zu leugnen. Dahinter steckt: es gibt den geistig ziemlich unselbständigen Studenten in der DDR in rauhen Mengen (mit 23 Prozent fast ein Viertel der Befragten). Kein Wunder bei einem die Individualität einschränkenden Schulsystem, in dem die eigene Meinung oder Entscheidung nicht gefordert waren.

Die auf solche Weise plötzlich ins Rampenlicht Gerückten fehlten wahrscheinlich auch auf dem Marketing-Symposium. Eigentlich doppelt traurig: Sowohl die interessante Typisierung als auch dieses Symposium, das wie kaum eine andere Veranstaltung Möglichkeiten und Notwendigkeit unkonventionellen Denkens und entscheidungsfreudigen Handelns zeigte, hätten viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Drei Tage Information und Diskussion zu einem Thema, das angehenden Diplomökonomen der DDR - für sie hatten Frankfurter Betriebswirtschaftsstudenten diesen Nachhilfeunterricht in erster Linie organisiert zwangsläufig auf den Nägeln brennen muß. Ihren ostdeutschen Kommilitonen ein Gefühl zu vermitteln, was Marketing eigentlich ist und außer der einschlägig bekannten Werbung noch alles umfaßt, war Anliegen der Organisatoren und jener Neunzehn, die die Workshops zu ausgewählten Problemen des Marketing leiteten. Zum einen wollte man die Angst vor der „Geheimwaffe der Industriegiganten“ nehmen („Es kochen alle nur mit Wasser“, Alex Engel, 8. Semester), zum anderen aber zeigen, wie unersetzlich und anspruchsvoll für Betriebe die Beschäftigung mit Marketing ist, sobald der große Markt der bunten Waren auch auf die DDR überschwappt. Sich darauf vorzubereiten, hatten die Leipziger Studenten bis vor kurzem weder Veranlassung noch die Möglichkeit.

Nun drängt die Zeit, gerade für die Absolventen dieses Jahrganges. Antje Gohlke, im 4. Studienjahr an der Handelshochschule: „Wir gehen als letzte hier ab mit dem Titel 'Diplomökonom‘. Unsere Versuche, einiges in Marktwirtschaft und Marketing nachzuholen, hatten nur wenig Erfolg. Erst dieses Symposium gibt mir wieder ein bißchen Hoffnung. Keine Chance bisher für uns, noch ein Semester dranzuhängen, keine Möglichkeiten für sofortige Sonderkurse, keine Zusage, an der geplanten Sommeruniversität teilnehmen zu können.“ Genau diese Chancen sollen sich nun doch noch eröffnen. Dr. Rolf Gabler, Professor für Geschichte der politischen Ökonomie an der Handelshochschule, versprach, gleich am Montag bei seinem Rektor alle diese Punkte für die Absolventen einzuklagen. Ein Ergebnis des Symposiums, denn diese Probleme bestimmten minutenlang die zweistündige Podiumsdiskussion.

Weitere greifbare Ergebnisse: 24 Marketing -Praktikantenplätze bei westdeutschen Unternehmen für DDR -Bewerber und eine vorläufig 500 Bände umfassende Handbibliothek, zusammengestellt dank einer Spendenaktion. Angesichts dessen, daß sowohl Plätze als auch Bücher zwischen Handelshochschule (HHS) und Sektion Wirtschaftswissenschaften der KMU aufgeteilt werden, kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Allein die HHS verlassen pro Jahr etwa dreihundert Absolventen. So bleibt als wirklich großer Erfolg dieser deutsch-deutschen Veranstaltung, neben dem gegenseitigen (Er)Kennenlernen, daß über tausend Leipziger Studenten eine erste intensive Berührung mit Marketing als Unternehmensphilosophie der westlichen Welt hatten. „Die Kunst, die Nachfrage besser als andere zu kennen und bedienen zu können, sie davon zu überzeugen und daraus Nutzen zu ziehen“ (Definition Prof. Dr. Klaus Peter Kaas, Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt) ist nun zumindest in Grundzügen auch denen ein Begriff, die es bisher nur gewohnt waren, in Kategorien der Leitung und Planung einer sozialistischen Mangel-Wirtschaft zu denken.

Daß damit bestenfalls ein Anfang gemacht wurde, dürfte allen Beteiligten klar sein. Einzelne Vorlesungen von Gastdozenten sind keinesfalls ausreichend. Von punktuellen Aktionen zu einer neu konzipierten und strukturierten Ausbildung zu kommen, wird Kraft, Zeit und eine Vielzahl lernwilliger Hochschullehrer erfordern. Natürlich auch eine Menge wißbegieriger Studenten, die nicht nur auf Angebote warten, sondern darauf drängen. Solange sie sich wie zur Zeit nicht einmal einig sind, aus ihrer Studienzeit ein Maximum an Wissen herauszuholen, braucht man sich nicht wundern, wenn sich Direktoren und Professoren immer wieder hinter der Behauptung verstecken, die Masse wolle das doch gar nicht. Auch darüber nicht, daß Außenstehende bei uns statt des alternativ orientierten Intellektuellen meist den „Mann ohne Eigenschaften“ wahrnehmen.

Siegbert Mac, Frank Treue