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DDR-Generäle vor Gericht

■ Anklage wegen Beihilfe zum Totschlag an der Mauer

Berlin (taz) – Das handsignierte Schreiben hütet der 65jährige Joachim Goldbach wie einen Schatz. „Persönliche Integrität“ und „menschliche Wärme“ werden ihm darin bescheinigt. Das Lob stammte vom Verteidigungs- und Abrüstungsminister Rainer Eppelmann, der Anlaß war im September 1990 die Verabschiedung des NVA-Mannes in den Ruhestand. Voller Respekt dankte der Dissident im Ministerrang dem Militär für „hingebungsvolle Arbeit“ und „uneigennützigen Einsatz für die Lösung der Probleme im Sinne der Menschen“. Heute steht Goldbach für die hingebungsvolle Arbeit vor Gericht.

Ihm und neun anderen Ex-Generälen, alle waren Mitglieder im „Kollegium des Ministeriums für Nationale Verteidigung“, wird ab heute vor der 35. Großen Strafkammer beim Berliner Landgericht der Prozeß gemacht. Vorwurf der Staatsanwälte: Beihilfe zum Totschlag und versuchter Totschlag in insgesamt 27 Fällen.

Die angeklagten Rentner sollen mitverantwortlich sein für die Todesschüsse an der Grenze zur BRD. Bei dem Kollegium, so die Ankläger, habe es sich um ein politisches und militärisches Beratungsgremium gehandelt, das dem DDR-Verteidigungsminister zuarbeitete. Durch „aktives Tun“ sollen sie das mörderische Grenzregime im ersten Arbeiter- und Bauernstaat gefestigt haben, Jahr für Jahr hätten sie den „Befehl 101“ erneuert und gebilligt – jenen Befehl, der in der Öffentlichkeit als „Schießbefehl“ bekannt ist und in dem unter anderem Grenzsoldaten angewiesen wurden, Fluchtversuche zu unterbinden und in letzter Konsequenz auch „Grenzverletzer zu vernichten“.

Praktisch die gesamte Militärführung der DDR ist angeklagt: Außer dem früheren Generaloberst Goldbach, zuletzt „Chef Technik und Bewaffnung“, auch der ehemalige NVA-Hauptinspekteur Helmut Brufka (76), Kaderchef im DDR-Verteidigungsministerium, Ottomar Pech (81) sowie die Spitzen von Marine, Land- und Luftstreitkräften mit deren Chefs Wilhelm Ehm (76), Horst Stechbarth (70) und Wolfgang Reinhold (72). Es ist der erste Prozeß gegen die NVA-Generalität, und das Verfahren folgt der Absicht der Berliner Staatsanwaltschaft, „Schicht für Schicht“ die Instanzen zur Rechenschaft zu ziehen, „die am Tod von DDR-Bürgern an der innerdeutschen Grenze mitschuldig sind“. Es soll die Lücke geschlossen werden zwischen der Strafverfolgung von Mitgliedern des Politbüros (die Anklage ist erhoben, der Termin aber noch nicht anberaumt) und den Mauerschützen-Prozessen (das 30. dieser Verfahren ging in dieser Woche mit einer Bewährungsstrafe zu Ende).

Die Angeklagten bestreiten vehement, je einen Befehl zum Töten gegeben zu haben, das Kollegium, beteuern sie, habe schließlich rein beratende Funktion gehabt. Nichts sei dort beschlossen worden, und Diskussionen seien dem Militär nun einmal „wesensfremd“. Chefankläger Christoph Schaefgen hält dagegen, auch von einem Militär könne erwartet werden, offensichtliches Unrecht zu erkennen und die Zustimmung dazu zu verweigern.

Juristisch dürften sich die Ankläger schwer tun. Zum einen muß das Bundesverfassungsgericht noch darüber entscheiden, ob die Strafverfolgung der früheren DDR-Führung nicht generell gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes verstößt. Zum anderen ist Beihilfe durch Unterlassung nur strafbar, wenn eine rechtliche Pflicht zum Widerspruch nachweisbar ist. Wolfgang Gast

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