DAS SERBISCHE REGIERUNGSBÜNDNIS STEHT VOR DEM BRUCH: Der Schatten von Milošević
Der Kriegsverbrecher Slobodan Milošević ist erledigt, meint man, persönlich wie politisch. Wie gut, endlich einen Giftkoch im Gewahrsam der internationalen Justiz zu wissen. Doch die jüngste Affäre um den ermordeten Geheimdienstmann Gavrilović in Serbien beweist: Selbst der Schatten von Milošević richtet noch Unheil an. Seine früheren Handlanger – und derer gibt es nicht wenige – versuchen weiterhin, sich mittels Gewalt, Korruption und Hochstapelei an der Macht zu halten. Viele von denen, die heute in Serbien beteuern, Gegner des Milošević-Regimes gewesen zu sein, waren zeitweise seine Mitläufer oder Profiteure. Wen wundert es, dass sich die neuen Machthaber in Belgrad gegenseitig Posten, Ämter und Millionen zuschieben und sich einen Dreck scheren um Reformen und Wohlergehen der Menschen.
Präsident Vojislav Koštunica ist in diesem Machtspiel sein vermeintlicher Rivale Zoran Djindjić im Weg – und umgekehrt. Müßig zu fragen, wem mehr zu trauen ist: dem Noch-immer-Nationalisten Koštunica oder Regierungschef Djindjić, einem vom Nationalismus geläuterten Wendehals. Beide sind Erben jener politischen Figuren, die mit Mord und Vertreibung den kommunistischen Vielvölkerstaat Titos zu Grabe trugen. Beide sind auf Seilschaften der alten Garde angewiesen, um überhaupt regieren zu können. Zehn Jahre Milošević-Herrschaft haben nahezu alles zerstört, was noch irgendwie an demokratischen und bürgerlichen Ansätzen aus der titoistischen Vorzeit geblieben war. Es war zu wenig für einen Neuanfang.
Serbiens Aussichtslosigkeit besteht darin, wirtschaftlich am Boden zu liegen, ohne Chancen auf eine baldige Einbindung in EU- oder transatlantische Strukturen. Vor allem aber fehlt eine moderne nationale Identität. Was ist Serbien? Ein Krisengebiet neben Kosovo und Mazedonien? Die europäische Feuerwehrdiplomatie versucht, mal hier, mal da einen Brandherd kurzfristig zu ersticken. Die Flammen lodern andernorts wieder auf. Ein altbekanntes Spiel mit jeweils neuen tragischen Fortsetzungen. Instabile Regierungen kennen wir aus allen Reformstaaten im Osten Europas. Der dauernde Wechsel von roten Politikern aus den Reihen der Exkommunisten und vollmundigen Exdissidenten, die zwar das Geschäft der Regimekritik verstanden, nicht aber das des modernen Regierens, kennzeichnet die Staaten vom Baltikum bis zum Balkan. Serbien steht vor dem gleichen innenpolitischen Chaos. Wer weiß, ob als lachender Dritter aus dem Bruderstreit Koštunica gegen Djindjić letztlich nicht ein Milošević-Günstling die Macht erklimmt. KARL GERSUNY
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