DAS LAND BERLIN KANN NICHT AUF SEINE LOVE PARADE VERZICHTEN: Ökonomische Gesundstoßung
Schade wäre es, wenn es zum Äußersten käme – vor allem um den Slogan. Denn der ist alle Jahre wieder so selten dämlich, dass man darüber noch sechs Monate später lachen kann: „One world, one Love Parade.“ Oder: „Let the sun shine in your heart.“ Oh Dr. Motte, oh heilige Einfalt! Ein Volksfest, ein Massenbesäufnis, eine ökonomische Gesundstoßung zum Ziele der Kassenfüllung des Landes Berlin verkleidet sich als politische Demonstration – und wundert sich dann, wenn es auch wie eine Demo behandelt wird. Hey, Raver: Scheitern als Chance! Das Verbot eurer Liebesparade als Zeichen einer deutsch-provinziell-ohnmächtigen Paragrafenhörigkeit, das ist schließlich eure erste politische Erfahrung! Jetzt habt ihr etwas gemeinsam mit all den Anti-Castor-DemonstrantInnen und IWF-GegnerInnen: Ihr seid verboten.
Dabei hattet ihr doch schon vor, eure bauchfreien Prada-Meinhof-T-Shirts zur Parade anzuziehen. Aber wahrscheinlich wird alles halb so schlimm. Mal sehen, wie viel Power in den Nutznießern der Love Parade steckt. Und wie gut sie sich in die Politik einkaufen können. 250 Millionen Mark Kaufkraftzuwachs, die Deutsche Bahn füllt Sonderzüge, die Hotels vermieten Feldbetten – dagegen wird, bei allem ökologischen Respekt, eine klitzekleine Gruppe TiergartenschützerInnen kaum anstinken können. Die Spaßbremse BI Tiergarten hat zwar faktisch Recht bekommen – aber dass die Umwelt gegen wirtschaftliches Masseninteresse einen aussichtslosen Kampf führt, sehen wir täglich, nicht nur in Kioto. Berlin kann es sich schlichtweg nicht leisten, auf den Profit der Liebe zu verzichten.
Eine Terminverschiebung wäre die teuerste Variante: So etwas zieht bekanntlich einen Rattenschwanz an Folgeerscheinungen hinter sich her – nicht nur bei hoch bezahlten und auf Jahre ausgebuchten DJs. Falls wirklich kein Alternativstreckenangebot angenommen würde, wäre es da noch besser, der Love Parade schnell ein eigenes kleines Städtchen zu bauen. Irgendwo. Auf einem brachliegenden Feld im Osten. Da kann man nicht nur nach Herzenslust pinkeln, sondern auch prima seine Ecstasy-Pillen verlieren. JENNI ZYLKA
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