DAS KIRCHENASYL IST EIN STACHEL – DEN WILL SCHILY JETZT ZIEHEN: Keine Agentur für Härtefälle
Die „gesonderten Kirchenkontingente“ im Asylverfahren, ursprünglich eine Idee des bayerischen Innenministers Beckstein, dann von Otto Schily auf dem Katholikentag 2000 lanciert, scheinen jetzt Form anzunehmen – in einem „Papier“ des Bundesinnenministeriums. Dessen wesentlicher Inhalt: Wenn die Kirchen die Kosten übernehmen, können sie beim Kirchenasyl in Härtefällen künftig selbst entscheiden, wer bleibt und wer nicht.
Es handelt sich hier um ein tückisches Manöver, das „Gott sei Dank!“ leicht zu durchschauen ist. Auf dem Katholikentag 2000 hatte Schily noch davon gesprochen, dass die Intentionen des Kirchenasyls stärker berücksichtigt werden sollten. Das klang nach Mitsprache und Konsultation. Was jetzt durchsickerte, ist hingegen nur der Versuch, den Kirchen aufzuhalsen, was Aufgabe des Staates ist – und das Kirchenasyl als „Agentur für Härtefälle“ in Anspruch zu nehmen. Während die kirchlichen Hilfsorganisationen bei diesem Angebot noch schwanken, sagen die Organisatoren des Kirchenasyls und die Kirchensprecher nein.
Und sie tun gut daran. Ursprünglich von der Kirchenobrigkeit misstrauisch beäugt, avancierte das Kirchenasyl mit den Worten des zuständigen Weihbischofs Josef Voss zu einem Protest dagegen, „dass die Gesetze im Einzelfall nicht genügend Spielraum bieten, um bedrohten Menschen Schutz zu gewähren“. Das heißt, dass nicht Einzelfälle im Namen des christlichen Mitleids geheilt werden, sondern dass die Gesetze und ihrer Anwendung geändert werden müssen. Das Kirchenasyl verweist auf einen staatlichen Missstand, indem es Bestimmungen des Ausländerrechts und des Polizeirechts missachtet. Also ein Akt des zivilen Ungehorsams, für den die jeweiligen Kirchengemeinden geradestehen. Das Asyl erhebt deshalb keinen Anspruch auf Rechtsgültigkeit. Es fordert keine Zone der Zuflucht wie zu Zeiten des Mittelalters. Es appelliert an den Staat und die Bürger, die Menschenrechte zu achten. Das Kirchenasyl ist ein Stachel. Der soll jetzt gezogen werden.
Untersucht man die Fälle der Ausländer, die in Kirchen Schutz gefunden haben, so trifft man zum Beispiel auf Kurden. Ihre Bedeutung als Oppositionelle wurde von der Anerkennungsbehörde zu niedrig taxiert, um ihnen Asyl zu gewähren. Was freilich die türkischen Behörden nicht darin hindern wird, die Abgeschobenen zu verfolgen und zu foltern. Härtefälle – oder Opfer einer inhumanen Anerkennungspraxis, die geändert werden muss?
CHRISTIAN SEMLER
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