piwik no script img

Archiv-Artikel

DAS ERLAHMEN DER MONTAGSDEMOS HAT SOZIODYNAMISCHE GRÜNDE Dilemma der Protestaktion

Das Problem mit dem Druckmachen auf der Straße ist, dass man zu Anfang nicht sagen kann: „Wir laufen jetzt hier fünfmal durch, dann ist die Luft eh raus.“ Mit einer solchen Ansage wäre die Montagsdemonstrationen gegen die Arbeitsmarktreformen eine Totgeburt gewesen. Jede Protestaktion muss die Drohgebärde Richtung Politik enthalten, dass sie womöglich weitergeht und stärker wird. Nur deshalb springen die Medien auch darauf an.

Deshalb aber erleiden nahezu alle Protestaktionen, die auf unbestimmte Zeit angelegt sind, das gleiche Schicksal: Früher oder später ist die Luft eben tatsächlich raus. Wer sich bis dahin aufs Sofakissen, seinen Weltekel oder seine Abneigung gegen’s Demonstrieren überhaupt gestützt hat, kann dann darauf hinweisen, er habe es ja gleich gewusst. Doch viel interessanter ist zu schauen, woran es liegt, dass die Protestmarschierer vom August so schnell müde Füße bekommen haben: Hat die Werbekampagne der Regierung bei ihnen gezündet? Haben die Wahlsiege der PDS sie besänftigt? Hat die reibungslose Bundestagsabstimmung über Hartz IV vergangene Woche sie frustriert?

Wahrscheinlich ist, dass nicht inhaltliche Gründe zum Erlahmen des Protesteifers führen, sondern soziodynamische: Die Gewerkschaften, opportunistisch wie immer, haben die Laufstrecke verlassen. Damit entfällt die tröstliche Wucht, die Busladungen von freigestellten Gewerkschaftern mit industriell gefertigten Transparenten nun einmal entfalten. Die Medien haben die Demo-Bilder gezeigt und die Argumente aufgezählt. Ihre Nachricht lautet nun: Zahlen rückläufig. Das entmutigt.

Die Politstrategen von Attac haben wie so oft als Erste das Dilemma erkannt: besser nicht mehr auf Montagsdemos setzen. Sie haben Recht. Die Organisatoren können froh sein, wenn am Wochenende noch nennenswerte Mengen von Menschen durch Berlin ziehen. Demonstrationskultur ist unberechenbar. Das war die Stärke der Montagsdemos im Sommer, das ist im Herbst ihre Schwäche. Kampf um Arbeitslosenhilfe ist nun einmal nicht das Gleiche wie Kampf um Demokratie, D-Mark und Reisefreiheit. ULRIKE WINKELMANN