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Archiv-Artikel

DANIELA WEINGÄRTNER ÜBER NEBENSACHEN AUS BRÜSSELKURSE ALLER ART GRATIS ODER ZU NIEDRIGPREISEN Im Bildungsparadies

Für Bildungshungrige ist Brüssel ein wunderbares Pflaster. Die flämische Sprachgemeinschaft lockt mit kostenlosen Kursen, um den meist frankophonen Einwanderern aus Afrika das Niederländische schmackhaft zu machen. Die Französisch sprechende Gemeinschaft kontert mit Musikunterricht oder Theaterbesuchen in ihrer Muttersprache. Noch funktioniert der Finanzausgleich zwischen dem wirtschaftlich blühenden Flandern und der maroden Wallonie. Sollte sich das Land tatsächlich spalten, wäre es für die Französisch sprechenden Belgier mit dem Geldsegen vorbei.

Die Vermittlungsgespräche zwischen den Wahlsiegern sind schon mehrfach geplatzt. Ein Kompromiss für die von den Flamen geforderte Verfassungsreform ist nicht in Sicht. Dennoch schauen mich meine Lehrer an der kleinen Musikschule um die Ecke oder im Institut für Kunsthandwerk verblüfft an, wenn ich das Ende des Schlaraffenlands voraussage. Die Musikakademie im Marokkaner- und Türkenviertel St. Josse bietet privaten Klavier- oder Gesangsunterricht für 159 Euro im Jahr an. Kinder unter 11 Jahren zahlen gar nichts, Arbeitslose erhalten Rabatt.

Im Institut Diderot kostet die Ausbildung zum Kunsttischler oder Juwelier 200 Euro im Jahr – bei fünf Abendkursen pro Woche. Die Subventionen stammen von der französischsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Wer seine Schreinerlehre abgeschlossen hat, darf für 75 Euro jährlich die Werkstätten benützen, die mit modernsten Holzmaschinen ausgestattet sind. Zugegeben – das Dach des Art-Nouveau-Prachtbaus könnte eine Reparatur vertragen und manches Werkzeug scheint aus Vorkriegsbeständen zu stammen. Aber der Tischlermeister, der den Novizen jeden Abend drei Stunden mit Rat und Tat zur Seite steht, hat 35 Jahre Berufserfahrung und viel pädagogischen Eifer.

Die mittelalterlichen Sträßchen rund um die Grande Place tragen die Namen der Zünfte, die dort früher ansässig waren: Gerbergasse, Brauergasse oder Eichenstraße. In den zahlreichen Fachgeschäften für Handwerkerbedarf bekommen Schüler des Instituts Diderot großzügigen Rabatt. Auch hier vermag sich niemand vorzustellen, was aus Brüssel werden soll, wenn Belgien auseinanderfällt. Bis es so weit ist, genießen wir das Schlaraffenland. Wie ich gerade erfuhr, sind Schüler des Instituts Diderot von der Einschreibegebühr für die Musikakademie befreit. Ich darf mich also auf eine Gutschrift von 159 Euro freuen.