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D O K U M E N T A T I O N Bewährungsprobe für soziale Opposition

■ In einer Rede vom 29. März vor der Vereinigten Deutschen Studentenschaft in Münster knüpft der IG Metall–Tarifpolitiker Helmut Schauer an das politische Bündnis der 68er Studentenbewegung mit den Gewerkschaften an und fordert für den aktuellen Kampf um die Arbeitszeitverkürzung „eine umfassende Bewegung aller sozialen Kräfte“

Wir gehen in der laufenden Tarifauseinandersetzung jetzt in die 80. Verhandlung; nahezu eine halbe Million Arbeitnehmer der Metallindustrie hat inzwischen mit Warnstreiks für die Forderungen der IG Metall demonstriert. Trotzdem: Die fundamentalen, gesellschaftspolitischen Streitpunkte nimmt ein großer Teil der Öffentlichkeit noch immer nicht richtig wahr. Der Tarifkonflikt wird von einer auf die Erhaltung des sozialen Status quo fixierten öffentlichen Meinung nach dem Muster der Verteilungskämpfe der 60er und 70er Jahre gedeutet und damit zugleich entschärft. Die unauflöslichen, grundsätzlichen Gegensätze werden friedfertig verdrängt oder verniedlicht. Gesamtmetall will großmütig eine halbe Stunde Arbeitszeitverkürzung zugestehen, wenn dann die IGM bis 1991 stillhält. Danach würden wir die 35–Stunden–Woche ungefähr im Jahre 2020 erreichen. Ihr Ziel ist es, die sogenannten Know–how– Träger als eine Herrschaftsschicht fachidiotischer Workaholics von der Arbeitszeitverkürzung auszunehmen. Wenn das so durchkommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann wird auch die Aufspaltung der Bildungsgänge in ein nivelliertes Massenstudium einerseits, in Aufbaustudien für eine Elite andererseits unaufhaltsam sein, die von den neokonservativen Bildungspolitikern angestrebt wird. Aber mit Verlaub: Habt Ihr den Eindruck, daß diese Zusammenhänge wenigstens den kritischen Bildungsarbeitern bewußt sind? Wenn es zum Arbeitskampf kommt - und wir werden das bald wissen - dann werden wir zwar Betrieb für Betrieb gegen die Aussperrung kämpfen, dann können aber auch in wenigen Wochen Hunderttausende kalt Ausgesperrte ohne Einkommen sein. Damit kann die IG Metall allein, damit kann nicht einmal der DGB insgesamt fertig werden. Hier kann nur noch eine umfassende Bewegung aller sozialen Kräfte, eine große politische Hilfsaktion der Solidarität, die nötige Antwort geben. Tragt die Auseinandersetzung um die 35–Stunden–Woche, die Solidaritätsbewegung gegen die Aussperrung in die Hochschulen. Fordert Eure Kommilitonen und Eure Lehrer zur Diskussion um Arbeitszeitprobleme heraus, gebt ihnen unsere Bitte um Unterstützung gegen die Aussperrung weiter. Bringt sie in die Solidaritätskomitees mit. Die soziale Opposition, egal ob in den Gewerkschaften, ob in den Hochschulen, geht auf eine Bewährungsprobe zu, deren Ausgang offen ist. Wir haben heute die Chance, die mit der Änderung des §116 AFG bezweckte Einschränkung der gewerkschaftlichen Streikfähigkeit offensiv mit dem Ausbau solidarischer Kultur des sozialen Widerstandes zunichte zu machen.

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