Crowdpublishing : Das gute Leben für alle, jetzt!
Das I.L.A.-Kollektiv analysierte 2017 die imperialen Lebensweisen. Jetzt widmet es sich solidarischen Alternativen.
von TORBEN BECKER
Dass sich etwas ändern muss, steht für das I.L.A. Wissenschaftler*innen-Kollektiv außer Frage. 2017 sezierten sie im Dossier „Auf Kosten Anderer?“ die sogenannten imperialen Lebensweisen mit all ihren Fremd- und Selbstzwängen: den Einfluss von profit- und wachstumsorientiertem Wirtschaften, dessen ausbeuterischen Auswirkungen, den Zwang zu Selbstoptimierung und die ständige Verfügbarkeit im digitalen Zeitalter. Nun möchten sie einen zweiten Band mit Alternativvorschlägen nachlegen, um so den Blick auf eine solidarische Gesellschaft freizugeben. Form und Inhalte kommen bei diesem Projekt überein, denn auch der Folgeband kann über die crowdpublishing-Plattform „oekom crowd“ von der Leser*innenschaft unterstützt werden.
Ausgangspunkt: In der scheinbaren Alternativlosigkeit des neoliberalen Kapitalismus bieten Rechtskonservative und Populist*innen mit Rückgriff auf nationalistische Bestrebungen, rassistischen Ressentiments und dem Wunsch nach autoritären Regierungsformen nicht nur in Deutschland keine Lösungsansätze. Dies sei unsolidarisch und reiche nicht an die Problemursachen des Kapitalismus heran, eröffnet der erste Band.
Um ein gutes Leben für alle anvisieren zu können, brauche es daher Progress, Emanzipation und ein fundiertes Wissen über die komplexen „Zusammenhänge und Strukturmerkmale kapitalistischer Wirtschaftsweisen.“ Denn obschon ökologische, soziale und ökonomische Ausbeutungen im globalen Kontext für die meisten Menschen sicht- und spürbar sind, bleibt die Frage, warum sich daran nichts ändert.
Wissenschaft verständlich
Mit aufwendige Grafiken, Infoboxen und Stichwortglossar liefern die 15 Wissenschaftler*innen im ersten Band bestechende Analysen unserer Gegenwart. „Wir versuchen wissenschaftliche Konzepte möglichst anschaulich aufzuarbeiten, damit viele Menschen dazu einen Zugang bekommen“, erläutert Dr. Katharina van Treeck, I.L.A.-Projektleiterin, ihre Herangehensweise.
Am Ende der jeweiligen Kapitel verweisen sie auf Initiativen, Projekte oder Organisationen, die als Positivbeispiele gegen Ausbeutung und Rechtsruck herangezogen werden – eine Handreichung zur Vereinbarung von Theorie und Praxis, die auf gesellschaftlicher Partizipation, dem Kerngedanken des I.L.A.-Kollektivs, fußt. „Es geht uns darum eine linke Alternative der Geschichte zu erzählen, denn es fehlt oft an Visionen und Utopien. Diese Lücke wollen wir schließen und zeigen, dass es unterstützenswerte Alternativen gibt“, so Frau van Treeck weiter.
Schreibwerkstatt mit Praxisbezug
Das Kollektiv-Kürzel steht für „Imperiale Lebensweise und Ausbeutungsstrukturen im 21. Jahrhundert“ und betitelte die im 2016 gegründete Schreibwerkstatt. Nun sitzt das Kollektiv zusammen in der zweiten Runde, der diesjährigen Werkstatt für globale Gerechtigkeit, und arbeitet am Nachfolgeprojekt: „Während es im ersten Band um all das ging, was nicht so gut ist. Wird es im zweiten Band darum gehen, wie man damit umgeht und was man dagegen machen kann“, schilderte Clemens Herrmann, Programmanager im Sachbuchbereich des Oekom-Verlages, gegenüber der taz.
Oekom Crowd versteht sich dabei selbst als partizipatives Solidaritätsprojekt. 2017 gegründet, eröffnet es der Leser*innenschaft, Teil der verlegerischen Entscheidungsprozesse zu sein. So wird einerseits das finanzielle Risiko für den Verlag verringert und andererseits die programmatische Vielfalt der Verlagspublikationen unterstützt. Dabei legt sich der Verlag auf zwei Varianten fest: „Zum einen wird ein Projekt erst realisiert wenn dafür eigens ein bestimmter Betrag erreicht ist. Zum anderen legen wir uns bei manchen Projekten wie im Falle der I.L.A. auf die Veröffentlichung fest, sammeln über die Plattform aber einen notwendigen unterstützenden Beitrag. Überschüsse werden abzüglich eines kleinen Anteils für technische Kosten unter den Autor*innen und Herausgeber*inne verteilt “, legt Clemens Herrmann die Verlagsstrategie dar.
Das Interesse ist groß
Die I.L.A.-Werkstatt wird zudem von weiteren Organisationen finanziell unterstützt. Engagement Global und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) übernehmen allein 75% des Finanzvolumens des gesamten Projekts inklusive der Publikation. Brot für die Welt und der Katholische Fond kommen ergänzend hinzu. Der Rest soll über die crowdpublishing Plattform gesammelt werden. Auf Nachfrage versicherten die Herausgerber*innen, dass Geldgeber*innen keinen Einfluss auf die Inhalte oder Redaktionsentscheidungen haben.
Noch bis zum 2. Dezember 2018 ist der Unterstützungsaufruf auf oekom crowd aktuell. Bereits zwei Wochen nach Projektveröffentlichung wurde mehr als die Hälfte der anvisierten 2.000 Euro gesammelt – ein Zeichen für die Nachfrage nach einem „gutem Leben für alle“ und einem nachhaltigen sozial-ökologischen Wandel.