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Corona und Menschen mit BehinderungArbeitslos in der Krise

Durch die Pandemie haben viele Menschen mit Behinderung ihren Job verloren. Diese Entwicklung zeigt sich besonders in Hamburg und Schleswig-Holstein.

Ein relativ Corona-sicherer Arbeitsplatz ist viel wert Foto: Andi Weiland/Gesellschaftsbilder.de

Hamburg taz | Menschen mit schwerer Behinderung leiden besonders unter der Coronapandemie. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung um 13 Prozent zu, auf heute rund 174.000. Das geht aus dem in dieser Woche veröffentlichten „Inklusionsbarometers Arbeit“ der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes hervor.

Zwar stieg die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Behinderung noch schneller, doch „haben Menschen mit Behinderung ihren Arbeitsplatz erst einmal verloren, finden sie sehr viel schwerer in den ersten Arbeitsmarkt zurück“, erklärt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. Sie ergänzt: „Im Schnitt suchten arbeitslose Menschen mit Behinderung 100 Tage länger nach einer neuen Stelle als Menschen ohne Behinderung.“

Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind Hamburg und Schleswig-Holstein. Den bundesweit höchsten Anstieg nach Bayern an arbeitslosen Menschen mit Behinderung verzeichnet mit 18,9 Prozent die Hansestadt an der Elbe.

Dass Schleswig-Holstein mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote um 15,9 Prozent bundesweit auf Platz fünf und damit über dem Durchschnitt liegt, hat einen Grund. Wie Hamburg ist das Nord-Bundesland eine Tourist*innen-Hochburg. Und überdurchschnittlich viele Menschen mit Behinderung sind im Gastgewerbe beschäftigt. In Niedersachsen (11,7 Prozent), Bremen (8,6 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (6,7 Prozent) liegt der Anstieg dagegen jeweils unter dem Bundesschnitt.

Hamburg und Schleswig-Holstein sind stark betroffen

In Schleswig-Holstein leben etwa 346.000 Menschen mit Schwerbehinderung, fast 5.300 von ihnen sind dort zurzeit ohne Job. In Hamburg sind es über 3.600, in Bremen rund 1.650 und in Niedersachsen knapp 13.500. Hier suchen Menschen mit Behinderung, die arbeitslos geworden sind, am längsten nach einer neuen Aufgabe: Im Schnitt 107 Tage länger als ein*e Arbeitssuchende*r ohne schwerwiegendes Handicap. In Hamburg dauert die Jobsuche im Mittel „nur“ 49 Tage länger als bei Menschen ohne Behinderung.

Die coronabedingte Erhöhung der Erwerbslosenzahlen markiert eine Trendwende. „Seit 2013 verbesserte sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung fast stetig, doch die Entwicklung in diesem Jahr macht in kürzester Zeit die Erfolge der letzten vier Jahre zunichte,“ resümiert Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institutes.

Dabei war auch zuvor nicht alles so, wie es sein sollte: 2019 etwa lag die Arbeitslosenquote der Menschen mit Behinderung mit 10,9 Prozent deutlich höher als bei Menschen ohne Behinderung (5,0 Prozent). Auch zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ ist die Teilhabe am Arbeitsleben für Betroffene noch immer alles andere als selbstverständlich.

Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit schwerer Behinderung dürfte kurzfristig noch weiter zunehmen. Denn viele Unternehmen, die für die Inklusion in den Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle spielen, sind gemeinnützig, konnten deshalb in der Vergangenheit kaum Rücklagen bilden und bekamen lange keinen Zugang zu den Rettungsschirm-Soforthilfen für die Wirtschaft. Erst im Juli 2020 wurden die staatlichen Überbrückungshilfen auf den Weg gebracht, die gemeinnützigen Inklusionsunternehmen offen stehen. Darüber hinaus soll es ab Januar 2021 ein zusätzliches 100-Millionen-Euro-Programm mit Liquiditätshilfen für Inklusionsbetriebe geben.

Vielen Integrations-Unternehmen droht die Insolvenz

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen hat in einer Umfrage im Mai die Auswirkungen des Lockdowns auf die Inklusionsbetriebe untersucht. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen befürchtete damals eine Insolvenz. Und nur 30 Prozent der Inklusionsbetriebe wollten den Verlust von Arbeitsplätzen ausschließen. Ob es dazu kommt, wird sich auch danach entscheiden, welche Staatshilfen noch fließen.

Die durch das Homeoffice beschleunigte Digitalisierung der Wirtschaft bewerten die Herausgeber des Inklusionsbarometers für körperbehinderte Arbeitnehmer*innen eher als Chance. Die Entwicklung digitaler Hilfsmittel für körperlich Beeinträchtigte und die räumliche Flexibilität beim Arbeitsort seien für sie von Vorteil. Barrierefreiheit ist im heimatlichen Büro wesentlich leichter zu gewährleisten ist als in einem Betrieb, weshalb auch Hamburgs DGB-Sprecher Felix Hoffmann durchaus Potenzial im pandemiebedingten Digitalisierungsboom sieht. „Die Digitalisierung kann helfen, mehr inklusive Arbeitsplatzangebote zu machen“, sagt er.

Nachteile drohen hingegen für Menschen mit einer Lernbehinderung, da es bislang keine Schulungen gibt, um sie in die digitale Zukunft mitzunehmen. Hier bräuchten wir „ganz gezielte Qualifizierung und Weiterbildung“, fordert Hoffmann. Auch ein Forschungsprojekt des Bundesarbeitsministeriums sieht für Menschen mit psychischen oder geistigen Einschränkungen vor allem Risiken durch die zunehmende Digitalisierung.

Die sich ständig ändernden Arbeitsweisen und -bedingungen können bei ihnen eine Überforderung auslösen. Die Technologien sind oftmals zu komplex, um von ihnen bedient werden zu können. Zudem zeigt eine Studie des Villingen Institute of Public Health, dass häufigeres Arbeiten im Homeoffice für diese Personengruppe durch den Wegfall sozialer Kontakte problematisch ist.

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