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Coop-Prozeßbeginn in FrankfurtLehrstück mit ungewissem Ausgang

■ Vor der Zweiten Strafkammer des Landgerichts Frankfurt wird ab heute die Skandalgeschichte des gewerkschaftseigenen Einzelhandelsriesen Coop uraufgeführt. Nach ...

Lehrstück mit ungewissem Ausgang Vor der Zweiten Strafkammer des Landgerichts Frankfurt wird ab heute die Skandalgeschichte des gewerkschaftseigenen Einzelhandelsriesen Coop uraufgeführt. Nach klassischem Rezept sollen sich die Herren um Manager Bernd Otto um Millionen bereichert haben.

Heute beginnt in Frankfurt der größte Wirtschaftsstrafprozeß der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Vor Gericht stehen die ehemaligen Vorstände der Coop AG. Bernd Otto, Dieter Hoffmann, Michael Werner und dem früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Alfons Lappas werden Bilanzfälschung und Untreue vorgeworfen — Straftaten, auf die bis zu zehn Jahre Haft stehen. Die drei Vorstandsmitglieder sollen sich außerdem persönlich um mindestens 25,6 Millionen Mark bereichert haben. Auf 329 Seiten hat Oberstaatsanwalt Hubert Harth die Skandalgeschichte des gewerkschaftlichen Einzelhandelsriesen zusammengeschrieben — einen Krimi, der vor zwei Jahren mit dem Beinahe-Konkurs eines Handelsunternehmens mit 2.200 Filialgeschäften, 12 Milliarden Mark Jahresumsatz und 48.700 Beschäftigten endete, nachdem der 'Spiegel‘ 1988 den Skandal aufgedeckt hatte. Und während 140 Gläubigerbanken geplatzte Kredite in Höhe von 2,7 Milliarden Mark abschreiben mußten, verloren 150.000 Kleinaktionäre ihr in Coop-Aktien angelegtes Guthaben.

Bei Verbrechen dieser Größenordnung fragt sich im nachhinein so mancher, wieso all die zahlreichen gut ausgebildeten Geschäftspartner, Bankiers und Wirtschaftsprüfer so lange nichts gemerkt haben von den dunklen Machenschaften an der Spitze eines Großunternehmens. Dabei scheint es ein klassisches Rezept zu geben, nach dem der typische Wirtschaftskrimi zu kochen ist. Als Vergleich und Lehrstücke bieten sich der Skandal um die Bank of Credit & Commerce International (BCCI) und der um das zusammengebrochene Medienimperium des Robert Maxwell an (s. taz 24.7. 1991 und 7.11. 1991).

Man nehme als Hauptperson jeweils einen intelligenten und ehrgeizigen Mann, der sich aus ärmlichen Verhältnissen bis an die Spitze eines von ihm selbst (mit-)konstruierten Unternehmens hocharbeitet (Bernd Otto, Robert Maxwell, Agha Hassan Abedi). Der Konzern (die Bank) ist so verschachtelt, daß auch Wirtschaftsprüfer (bei Coop und BCCI: Price Waterhouse) nicht mehr nachvollziehen können, von wo welches Geld über welche Kanäle wohin überwiesen wird. Unter den Ländern, in denen das Unternehmen agiert, sind auf jeden Fall Luxemburg, die Schweiz und die Cayman- Inseln. Und um aus den komplizierten Kreisläufen Geld entnehmen zu können, empfiehlt sich die Gründung einer steuerbegünstigten Stiftung mit Sitz in Luxemburg (Maxwell) oder der Schweiz (Otto). Wenn das Unternehmen nicht selbst eine Bank ist (BCCI), nehme man die notwendigen Kredite bei 120 (Maxwell) bis 140 (Coop) verschiedenen Banken auf. Das kann ziemlich lange gutgehen — nur irgendwann einmal müßte die Kuh, die ständig gemolken wird, auch gefüttert werden: In allen drei Fällen nutzte das geniale Konstrukt am Ende nichts mehr; die völlig überschuldeten Imperien stürzten zusammen wie Kartenhäuser.

Im Gegensatz zu dem Briten Maxwell und dem Pakistaner Abedi war Otto allerdings kein Einzelkämpfer. Die Ermittler vom Bundeskriminalamt (BKA) sehen ihn als Mitglied einer „kriminellen Vereinigung“ mit dem Namen „Arbeitskreis zur Umgestaltung der Gesellschafterverhältnisse bei Coop“. In diesem Zirkel saßen ab 1984 die Spitzen der Coop AG und der Gewerkschaftsholding „Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG“ (BGAG) regelmäßig zusammen. Offiziell gehörten der BGAG zu diesem Zeitpunkt 49 Prozent der Coop. In Wahrheit, so die Ermittler, hielt die BGAG fast alle Coop-Aktien über zwei Tarnfirmen (GfH und „Skandinavia Gesellschaft für Handelsbeteiligungen“) sowie die Schweizerische Genossenschaftliche Zentralbank (GZB, als Treuhänder). Die beiden Tarnfirmen hatten ihre Coop-Aktien über Kredite von der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), die ebenfalls zu 90 Prozent der Holding BGAG gehörte, finanziert.

Weil damals die BGAG und die BfG schwere Finanzprobleme wegen der Neuen Heimat hatten, wollten sie zumindest das Verlustrisiko Coop loswerden. Der „Arbeitskreis“ verabredete laut Anklage, daß die Coop die Tarnfirmen und damit ihre eigenen Aktien kaufen sollte. Die Coop bezahlte dabei die Schulden der Tarnfirmen bei der BfG (über Kredite von anderen Banken). Der Aufsichtsratsvorsitzende Lappas soll bei diesem Deal seine Fürsorgepflicht für das Coop-Vermögen sträflich vernachlässigt haben: Vorteile hatten nämlich nur die BGAG (in deren Vorstand Lappas ebenfalls saß) und die Coop-Schwester BfG.

Diese Transaktion genügte der BGAG noch nicht; sie wollte auch ihr ganz offiziell gehaltenes Coop-Paket loswerden. Als die Deutsche Genossenschaftsbank (DG-Bank) nicht überzeugt werden konnte, das Paket zu übernehmen und an die Börse zu bringen, dachte der „Arbeitskreis“ neu nach — mit dem Ergebnis, daß die Coop auch diese Aktien selber kaufte. Um das illegale Geschäft zu tarnen, gründete die Coop flugs eine weitere Untergesellschaft, die dann den Kauf tätigte. Die Coop AG war damit Mutter und Tochter in einer (juristischen) Person. Und weil das, was biologisch nicht sein kann, in rechtlichen Konstrukten nicht sein darf, handelte es sich um einen krassen Verstoß gegen das Aktiengesetz. Danach darf eine AG nur in Notfällen kurzfristig und höchstens zehn Prozent der eigenen Aktien halten. Für dieses zweite Aktienpaket mußte die Coop 190,8 Millionen Mark bezahlen — ein weiterer finanzieller Schaden, denn sie erhielt ja nur die eigenen „wenig werthaltigen“ ('Handelsblatt‘) Aktien.

Wirtschaftlich ging es der Coop, die 1974 aus den hochverschuldeten Konsumgenossenschaften gezimmert worden war, im Jahre 1984 also überhaupt nicht gut. In einer derartigen Situation erscheinen in der Bilanz normalerweise Verluste. Nicht so bei der Coop. Um weiterhin für den immensen Kapitalbedarf günstige Bankenkredite bekommen zu können, verabredeten die Herren um Bernd Otto, die Bilanzen für die Jahre 1983 bis 1987 zu frisieren. Der 'Spiegel‘ zitiert den Coop-Oberbuchhalter Schröder-Reinke mit den Worten: „Erst die Bilanz machen, dann buchen.“ Ergo wurden Gewinne (bis zu 104 Millionen DM jährlich) „gemacht“ (Bilanzfälschung) und Dividenden gezahlt (Dividendenschädigung) — auch mit dem Ziel, eine Bank zu überzeugen, die Coop-Aktien zwecks Eigenkapitalbeschaffung an die Börse zu bringen. Dieses Ansinnen lehnten nach der DG-Bank die Commerzbank und die Deutsche Bank ab. Die Coop- Vorstände begaben sich also an den internationalen Finanzplatz Schweiz und überzeugten den Schweizerischen Bankverein (SBV), die Aktien an der Börse zu plazieren, was am 16. Oktober 1987 mit den geschönten Zahlen, im Prospekt für den interessierten Anleger, geschah (Prospektbetrug). Finanzvorstand Casper brachte allerdings nur einen kleinen Teil der Aktien an die Börse. Das brachte zwar zunächst weniger Eigenkapital, erhielt den Vorständen dafür die Macht im Haus. Durch gezielte Kurspflege — indem sie ihre Aktienpakete hin- und herschoben — trieben sie den Kurs von 165 auf 505 Mark pro Aktie (übrigens war es ebenfalls der SBV, der Maxwell seine letzten großen Kredite gab).

Bis hierhin sind die Kungeleien der ehemaligen Coop-Führungsriege zwar illegal. Man könnte aber mit etwas gutem Willen immerhin noch lautere Motive unterstellen (zum Wohle der Firma, der Gemeinwirtschaft etc.). Doch wenn schon illegal, dann auch zum persönlichen Nutzen, mögen die Herren gedacht haben. Zu diesem Zweck gründeten die Angeklagten Otto und Hoffmann sowie ihr nach Kanada geflüchteter Vorstandskollege Werner Casper diverse persönliche Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein. Über Zwischenstationen, so die BKA-Ermittlungen, floß Geld aus der Coop auf die Stifterkonten — teilweise über fingierte Rechnungen, teilweise auch über zu hoch ausgestellte echte Schecks, von denen die überschüssigen ausgezahlten Beträge abgezweigt wurden. Mit dem aus dem Konzern abgezweigten Geld kauften sich die Stifter diverse Unternehmen in verschiedenen Ländern zusammen. Diese wurden dann in eine schweizerische Aktiengesellschaft namens Garvey eingebracht. Wer damals im Coop-Vorstand nachfragte, erhielt die Antwort, daß die Garvey ein „personeller Gleichstellungskonzern“ sei: er werde zwar von den Coop-Vorständen sozusagen privat geleitet, sei aber wirtschaftlich von der Coop AG unabhängig.

Um zu verschleiern, daß die Herren Otto, Hoffmann und Casper die Garvey nicht nur leiteten, sondern auch das Eigentum hielten, webte laut 'Spiegel‘ der Liechtensteiner Berater Ronald Kranz (45) ein Netz aus Briefkastenfirmen — die sich allerdings durch ihre Firmensitze in der Schweiz, Luxemburg und den karibischen Cayman-Inseln fast schon selbst enttarnten. In diesem Konglomerat soll auch die „persönliche Bereicherung“ stattgefunden haben. In der Anklageschrift wird den Ex-Coop-Chefs der Klau von 26,5 Millionen Mark vorgeworfen. Es könnten aber, bei den weiteren Ermittlungen, am Ende rund 100 Millionen Mark werden, sagte Oberstaatsanwalt Hardt vergangene Woche.

Der Krimi betrifft allerdings nicht nur die Coop, die heute unter dem Dach des Handelsriesen Asko firmiert, der sie auf 840 Filialen mit nur noch 18.000 Beschäftigten eingedampft hat. Falls Ex-Aufsichtsrat Lappas, der zivilrechtlich bereits zur Zahlung von fünf Millionen Mark Schadenersatz an die Coop verurteilt wurde, im heute beginnenden Prozeß bestraft wird, dann müßte möglicherweise auch die Gewerkschaftsholding BGAG für die Machenschaften ihres Ex-Vorstandsmitglieds zahlen — zunächst wohl 400 Millionen Mark an die Coop wegen der diversen teuren Aktien-Kungeleien. Möglicherweise ergibt sich gar eine sogenannte Durchgriffshaftung, nach der die Konzernmutter BGAG für die Taten der Tochter Coop geradestehen muß. Dann müßte der Gewerkschaftskonzern wohl seine Beteiligungen an der BfG (49,5 Prozent), der Volksfürsorge (25 Prozent) und der BHW-Bausparkasse (48 Prozent) verscherbeln — was seiner Auflösung gleichkäme. Donata Riedel

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