■ Contra: Die falsche Ausstellung zur falschen Zeit: Das Faszinosum
Berlin, April 1994. Die Straßen und U-Bahnhöfe der Hauptstadt sind mit Hitler-Postern gepflastert. Das „Museum der geistig-moralischen Wende“ zeigt im Geburtstagsmonat eine lange Galerie von Bildern des Führers. Nein, dieses Szenario ist nicht die Fortsetzung des Romans „Vaterland“ von Robert Harris, der ein Nazi-Deutschland der sechziger Jahre imaginiert. Es ist keine britische Science-fiction, es hätte Wirklichkeit sein können. Doch nun wird es das nicht, denn nach Intervention der Jüdischen Gemeinde zu Berlin kommt die Ausstellung der Hitler-Bilder seines Leibfotografen nicht von München ins Deutsche Historische Museum (DHM).
Kaum hat DHM-Chef Christoph Stölzl enttäuscht abgesagt, hebt in den Feuilletons eine heftige Zensurdebatte an, die sich nahtlos an die Auseinandersetzung um den überbewerteten Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ anschließt. Die einen machen sich Sorgen um die „Aufklärung“ schlechthin, die anderen befürchten, daß nach der Betrachtung von „Kult“-Bildern aus jungen Bürgern Neonazis werden. Sogar das rechtsdrehende ARD-Magazin „Report-München“ klagte über die bösen Bilder. Wohl weil dies so schön von den Nazis im wirklichen Leben ablenkt.
Der Streit um die Ausstellung sollte jedoch weder um Zensur geführt werden noch auf der Ebene „falsche Zeit, falscher Ort“ verbleiben. Natürlich war es unsensibel von Stölzl, dem Geschichtsmantelschneider des Kanzlers, die Hitler-Ausstellung kurz vor „Führers Geburtstag“ und dem umstrittenen Fußballspiel im alten Olympiastadion von 1936 eröffnen zu wollen. Und „Pech“ hatte er mit dem Brandanschlag auf die Synagoge von Lübeck. Wichtiger scheint aber ein anderer Blick auf den Zeitpunkt: Es ist dies die Zeit, da immer mehr Deutsche, und unter ihnen auch immer mehr Intellektuelle, endlich aus dem „Schatten Hitlers“ heraustreten wollen, eine „Einordnung“ der Nazizeit propagieren. Und es ist die Zeit, da die letzten Überlebenden des Holocaust sterben.
Warum gerade jetzt wieder eine Ausstellung aus der Täterperspektive? Eine spärlich kommentierte Bilderreihe, die auf ästhetische Kategorien setzt, sich auf Hitler konzentriert und mit dem „häßlichen“ Hitler auch den „menschlichen“ Hitler, sozusagen das „Faszinosum“, zeigt? Bedarf es wirklich noch dieses Tabubruchs, dieser Demaskierung? Man kann Ausstellung und Katalog, so wissenschaftlich perfekt sie gemacht sein mögen, auch auf dem Hintergrund der „Hitlertagebücher“ des Stern sehen oder des Hitler- Films von Joachim Fest.
Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, hat in dem Gespräch mit Stölzl, das zur Absage führte, durchaus argumentiert – nicht nur von verletzten Gefühlen gesprochen. Er verwies darauf, daß die Ausstellung auch andere Botschaften transportieren könne: „Der war gar nicht so schlimm“ oder „der Massenmörder hatte menschliche Züge“. Kanal stellt die Ausstellung auch in den Zusammenhang einer Renaissance der „Auschwitzlüge“. Stölzl aber spricht nur von Emotionen: Er habe „eine persönliche Bitte“ Kanals „spontan persönlich beantwortet“. Damit signalisiert der DHM-Chef, daß an der Absage gewissermaßen die Juden schuld sind. Hans-Hermann Kotte
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