Computerspielfestival in Potsdam: "Ballett im Ballerspiel"
Das Festival "play09" will weg von den immer gleichen Gewalt- und Suchtdiskussionen. Wir verändern die Spiele und nutzen sie kreativ, sagt Mitinitiator Andreas Hedrich.
taz: Herr Hedrich, wie darf man sich ein Festival für kreatives Computerspielen vorstellen: Kommen da ein paar Nerds und spielen Ego-Shooter?
Andreas Hedrich: Nerds würden sich wundern, was hier passiert: Sie müssten dann nämlich anfangen, mit ihrem Ego-Shooter etwas anderes zu machen, zum Beispiel Ballett tanzen im Spiel "Counterstrike". Eigentlich erwarten wir eher weniger Nerds - schön wärs, wenn die kommen würden! Denn sie könnten gute Tipps geben, wie man die Spiele verändern und kreativ nutzen kann.
Andreas Hedrich,41, ist Diplomsoziologe, Medienpädagoge und Mitbegründer der "Initiative Creative Gaming".
Mit "play09", dem "2. Festival für kreatives Computerspielen", will die "Initiative Creative Gaming" den kritischen Umgang mit Computerspielen fördern. Das Festival richtet sich an Jugendliche, LehrerInnen, Eltern und MedienkünstlerInnen und die interessierte Öffentlichkeit.
Vom heutigen Donnerstag bis Samstag kann man sich im "Schaufenster" der Fachhochschule Potsdam (Friedrich-Ebert-Straße 6) selbst im Basteln von Computerspielen versuchen. Es gibt Vorträge über "Kunst und Computerspiel" oder die "Analyse von Spielfiguren am Beispiel Max Payne". Eine Ausstellung zeigt darüber hinaus sogenannte Machinimas, also Filme oder Tanzchoreografien, die sich innerhalb von Computerspielen produzieren lassen.
Außerdem stehen Spiele und Konsolen zum Ausprobieren bereit. Im "Labor" kann man sechs Medienkünstlern live bei der Entwicklung eines Kreativ-Computerspiels zusehen. Am Freitagabend diskutieren der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, Petra Müller vom Medienboard Berlin-Brandenburg und Stephan Dreyer vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung über "Creative Gaming".
Die Ausstellung ist täglich zwischen 9 und 24 Uhr geöffnet, Schulklassen können sich für Führungen anmelden.
Ihre Initiative "Creative Gaming" will einen "alternativen und regelfreien" Umgang mit Computerspielen schaffen. Was heißt das?
Das heißt, sich den Regeln zu widersetzen: Also in einem Ballerspiel nicht zu schießen, sondern mit eigenen Regeln etwas Kreatives, Neues zu schaffen.
Und wie sieht dieses Neue aus?
Man nimmt ein 3-D-Computerspiel als Kulisse, um darin einen Film zu produzieren. Die physikalischen Prozesse hinter Computerspielen sind so wahnsinnig ausgefeilt - das geht mit keinem Filmprogramm. Ich kann also zum Beispiel die Figuren im Spiel "Sims" als Schauspieler nutzen und spielen lassen, was ich gerne möchte. Ich kann das filmen, schneiden und vertonen und habe dann einen eigenen Film mit einem Computerspiel erstellt, also sozusagen eine neue Anwendung gefunden. Im pädagogischen Sinne gibt es da dann Anknüpfungspunkte: Es geht darum, eine klassische Analyse auf das Spiel, seine Geschichte und seine Rollenmodelle zu legen, wie ich es im Deutschunterricht für einen Roman gelernt habe.
Sie machen auch Gamedesign-Workshops. Wie sehen die aus?
Auch da sprechen wir zunächst über Spielgewohnheiten und die Faszination von Spielen. Dann geht es weg vom Computer, hin zu einem Kartenspiel. Auf dem sind dann zum Beispiel das Spielziel, die Vergangenheit aufleben zu lassen, ein Pferd als Spielfigur und eine Tanzmatte als Steuerung vorgegeben - daraus müssen sich die Jugendlichen ein eigenes Computerspiel ausdenken, was durchaus Fantasie erfordert. Nach der gegenseitigen Präsentation der Ideen arbeiten wir mit einem 3-D-Programm und bauen ganz einfache Spiele.
Wie kommt das bei Jugendlichen an?
Erstaunlich gut! Mit Computerspielen kennen sich alle aus, man kommt schnell ins Gespräch. Ihr vorhandenes Genrewissen hilft Jugendlichen, sich schnell eigene Geschichten auszudenken. Bei unseren Workshops war es meistens so, dass die Schüler am Ende sagen: "Och, können wir nicht noch länger?"
Aber die Jugend spielt doch eh schon viel zu viel und sollte lieber mal raus in die reale Welt, leibhaftig Ballett tanzen, nicht nur in "Counterstrike"!
Wir können ja nicht mehr machen, als eine Anregung zu geben, darüber nachzudenken, was Computerspiele überhaupt sind, was man mit ihnen machen kann. Es geht darum, einen Stachel zu setzen, das Einnehmen einer anderen Perspektive zu provozieren.
Nicht nur den Jugendlichen scheint dieser Ansatz zu gefallen. Zu Ihren Unterstützern zählen die Bundeszentrale für politische Bildung, die Medienanstalt sowie das Medienboard Berlin-Brandenburg. Hat "Creative Gaming" ein unbestelltes Pädagogikfeld entdeckt?
Im pädagogischen Bereich wird entweder verteufelt: "Bloß nicht spielen, das ist alles ganz gefährlich!" Oder man sagt: "Wir spielen mal alle gemeinsam und reden darüber", ein eher analytischer Ansatz also. Aber Medienkompetenz heißt viel mehr: wirklich eigene Formen zu finden, reflektiert und kreativ über ein Medium nachzudenken. Wir haben das Gefühl, tatsächlich einen Nerv getroffen zu haben, das ist ganz selten: Medienpädagogik kommt ja sonst als Feuerwehr hinterher und soll richten, was schon schiefgelaufen ist. Wir versuchen, den Spieß umzudrehen, und sagen: Hier sind die Spiele, wir nutzen sie alle, lasst uns doch jetzt gleich etwas anderes damit machen. Davon sind gerade Pädagogen begeistert, weil es endlich ein anderer Ansatz in der Gesamtdiskussion ist.
In dieser Debatte geht es meist nur um das Gewaltpotenzial von Computerspielen. Da ist Ihnen die Spieleindustrie sicher dankbar für diesen anderen Ansatz.
Einige Hersteller finden das interessant, weil so ja auch ihre Spiele promotet werden - aber wir wollen nicht den Verkauf ankurbeln, sondern einen neuen Umgang fördern. Es gibt auch Anfragen von Entwicklern, die sich hier sehr gern angucken würden, was die Jugendlichen denn da so machen, um Ideen zu bekommen, was sich am besten verkaufen lässt. Das lassen wir aber nicht zu. Letztes Jahr mussten wir sogar zwei Marketingvertreterinnen rausschmeißen.
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