Computerspiel "Homefront": Spiel mir das Lied vom Krieg
Das Spiel "Homefront" soll ähnlich wie Antikriegsfilme auch die dunkle Seite des Krieges mit all ihren Dramen zeigen. Ausgerechnet mit dem Einmarsch Nordkoreas in die USA.
Krieg spielen am Computer? Das ist meist eindrucksvolle Grafik gepaart mit jeder Menge Action, die vor Pathos und Hurra-Patriotismus nur so strotzt. Politisch korrekt geht anders. Mit "Homefront" zum Beispiel.
Das Öl ist fast aufgebraucht, die Menschen kämpfen ums nackte Überleben. Einst angesehene Bürger leben unter erbärmlichen Bedingungen, schuften im Arbeitslager. Wer nicht spurt, wird erschossen. Die glorreichen Zeiten Amerikas sind Vergangenheit. Nordkorea heißt die neue Supermacht, die in die USA einmarschiert und das Leben in den Vereinigten Staaten mit geladener Waffe kontrolliert. Wie bitte? Nordkorea besetzt die USA? Genau, und zwar im Jahr 2025. Ist aber alles nur Spaß. Oder eher: nur ein Spiel. Denn das neue Computerspiel "Homefront" soll als einer der ersten Kriegsshooter nicht nur Spaß und virtuellen Siegestaumel vermitteln. Sondern auch den Schrecken des Krieges zeigen.
Im Jahr 2027 kämpft der Spieler gemeinsam mit vier Mitstreitern auf Seiten des Widerstands. Er wehrt sich in dem Shooter in Ich-Perspektive auf amerikanischem Boden gegen die Besatzer. So simpel die Grundidee, so ungewöhnlich die Umsetzung. Wem dieses Was-wäre-wenn-Szenario bekannt vorkommt, der hat wohl den Film "Die Rote Flut" aus den 80er Jahren von John Milius gesehen, in dem eine Gruppe amerikanischer Jugendlicher gegen Invasoren kämpft. Der Regisseur hat ebenso die Geschichte für das Spiel "Homefront" geschrieben. Waren es im Film noch Russen und Kubaner, die zur Zeit des Kalten Krieges die Urängste der Amerikaner geschürten, musste nun ein neues Feindbild her.
"Normalerweise läge es auf der Hand, China als Besatzer für solch eine Geschichte zu wählen", sagt Jeremy Greiner vom Spieleentwickler Kaos Studios. Das war ihm zu langweilig. "Wir wollten das Altbekannte nehmen und die Wirklichkeit zu etwas Erschreckendem verdrehen", meint Greiner. Was ist für Amerika schließlich erschreckender als der Machtverlust samt Krieg im eigenen Land. "Wir möchten eine einzigartige, überraschende Geschichte erzählen. Da ist Korea besser geeignet", so Greiner. Überraschend wäre ein Szenario um das in den USA bereits verhasste China wohl kaum gewesen. Eine Massenangst vor dem kleinen Staat Nordkorea gibt es dort hingegen nicht.
Ausgerechnet auf John Milius als Autor ist die Wahl gefallen, weil der Greiners Ansicht nach Geschichten so erzählen kann, wie sie das Spielgenre Shooter verlangt: simpel und actionreich, ohne mit vielen Ebenen den Spielfluss zu stören. Dass es alles schon im Film in ähnlicher Form gab, stört Greiner nicht.
Tatsächlich fällt das beim Spielen kaum auf, denn für einen Ego-Shooter ist diese Art des Kriegspielens neu. Normalerweise rennt der Spieler in dem Genre heroisch durch die Szenarien, löst Aufgaben, erschießt virtuelle Gegner und erntet Jubel. Fragen, ob das Ganze auch richtig ist, sind da nur störend. "Ein Spieler nimmt das Geschehen auf dem Bildschirm anders wahr als jemand, der nur zuguckt. Der Spieler will primär das Spielziel erreichen. Da reflektiert er sein Handeln nicht unbedingt", sagt Torben Kohring. Beim ComputerProjekt Köln ist er Projektleiter vom Spieleratgeber NRW.
Shooter nicht ohne Ballerorgien
In "Homefront" will Greiner auch Emotionen vermitteln: Bedauern, Traurigkeit, Mitleid. "Wenn man Emotionen beim Spieler wecken will, geht das nur, wenn der aus dem Geschehen herausgeholt wird und auch mal einen Blick auf den Rand der Ereignisse werfen muss", meint Kohring: "Das funktioniert immer noch am besten durch die Mittel des Films und das Herausnehmen des Spieltempos. Dadurch, dass der Spieler zeitweilig auch mal nicht eingreifen kann." So finden sich in "Homefront" Szenen, in denen es langsamer zugeht als in vergleichbaren Spielen. Natürlich kommt dieser Shooter nicht ohne Ballerorgien aus. Aber es gibt hier ebenso die Stellen, an denen der Spieler nur hilflos schockierenden Szenen zusehen kann. Etwa wie ein junges Paar erschossen wird und dessen Kind schreiend zurückbleibt.
Harte Kost, die nur für erwachsene Spieler ab 18 Jahren freigegeben ist. Die Macher des Spiels versuchen, es den großen Hollywoodfilmen gleichzutun und den Schritt vom Kriegsspiel zum Antikriegsspiel zu machen. Greiner will dem Spieler die Einzelschicksale vorführen und all die Dramen, die ein Krieg mit sich zieht. Die Kernaussage: "Jede Handlung hat Konsequenzen." "Normalerweise geht in Kriegsshootern die US-Armee in den Dschungel oder die Wüste, siegt glorreich und rettet die Welt. Wir wollten mal etwas völlig Neues ausprobieren", sagt Greiner.
So wird der Spieler während seiner Schieß-, Schleich- und Fahrmissionen mit Elend und Argwohn konfrontiert. Statt genretypischem Jubel über den mutigen Einsatz gibt es Skepsis aus der Bevölkerung, die Angst vor der Rache der Koreanischen Armee hat. Ebenso Verrat, jede Menge virtuelle Leichen und die Tatsache, dass auch die feindliche Armee nur aus teils bemitleidenswerten Individuen besteht. Kohring findet die Idee interessant, den Schritt vom Kriegsspiel zum Antikriegsspiel zu wagen: "Das Genre muss das letztlich wagen, um erwachsen zu werden. Es muss unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema Krieg bieten." Laut Kohring birgt ein solches Spiel ein anderes Erlebnis als das klassische Kriegsspiel und spricht eine andere Klientel an. Schließlich hat man im normalen Shooter stets die volle Kontrolle über die Ereignisse und die Action bestimmt das Geschehen auf dem Screen. Ein Antikriegsspiel lebt davon, den Spieler dem Kontrollverlust auszusetzen, ihn Szenen hilflos beobachten zu lassen, nicht immer so ganz sicher sein zu lassen, ob er wirklich auf Seiten der Guten steht.
Unterhaltung, wenn Ekel und Mitleid mitschwingen?
Ein Spagat, gleichzeitig zu unterhalten und die Gräuel des Krieges zu thematisieren. Ist das noch Unterhaltung, wenn Ekel und Mitleid im Spielspaß mitschwingen? Für Greiner schon: "Wenn ich mir im Kino ein Drama ansehe und es mich zum Weinen bringt, verlange ich ja auch nicht mein Geld zurück." Zum Weinen bringt "Homefront" einen zwar nicht, macht aber einen Schritt in eine spannende Richtung. Auch hier gibt es zwar die typischen Macho-Sprüche und pathetischen Kommentare, wie wir sie aus US-Filmen kennen. Auch hier wird auf Gegnermassen geballert, bis die Magazine leer sind. Trotzdem bereichern die kritischen Momente das Spiel, intensivieren das Erlebnis. Viele kleine Details machen die Welt glaubwürdig und schaffen eine dichte Atmosphäre, die vergessen lässt, dass die Grafikqualität hinter der anderer Genrevertreter hinterherhinkt.
Die Geschichte wird trotz der zunächst seltsam klingenden Thematik glaubwürdig erzählt. Die Ereignisse vor der Besatzung hat Entwickler Kaos Studios in einem Zeitstrahl festgehalten. Den Verlauf der Energiekrise, die Schritte des Machtzuwachses Nordkoreas bis hin zum Einmarsch in die USA 2025. Die Handlung von "Homefront" beginnt erst zwei Jahre später. Somit ist die Zeitleiste für die Geschichte nebensächlich, allein ein Gerüst für eine durchdachte Geschichte, um Glaubwürdigkeit zu vermitteln. "Glaubwürdigkeit"; dieses Wort benutzt Greiner gerne, wenn er über "Homefront" redet. Die braucht das Spiel, um die gewünschten Emotionen hervorzurufen. "Fiktive Geschichte" nennt er das Jonglieren mit Jahreszahlen, das Verstricken wahrer Gegebenheiten mit eigenen Ideen und Menschheitsängsten, bis eine fiktive, aber seiner Meinung nach mögliche Welt entsteht.
Als seine Kollegen mit der Arbeit an dem Spiel begonnen haben, wussten sie zunächst wenig über Nordkorea. Also haben sie recherchiert. Unter anderem mit Hilfe des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Tae Kim, der das Team als Nordkorea-Experte beraten hat. Vor allem in Sachen Militär und Taktik. Auch hier war Glaubwürdigkeit die Intention. Nun sind die Mitarbeiter der Kaos Studios sensibilisiert und hören ganz genau hin, wenn es in den Nachrichten um Nordkorea geht. Laut ihrer Geschichtsschreibung kommt als nächstes die Überschuldung der USA samt Massenarbeitslosigkeit und Dollar-Absturz. Und der Tod von Diktator Kim Jong Il im Jahr 2012, der von seinem Sohn Kim Jong Un beerbt wird. Soweit, so glaubwürdig. Dass Korea wie im Spiel in Kürze wiedervereint wird, scheint schon unrealistischer.
Aber das Ganze ist schließlich nur Fiktion, nur ein Spiel, das unterhalten soll. Das funktioniert. An einigen Stellen hätte das Spiel noch weiter gehen, noch mehr Emotionen wecken, den Spielfluss durch weitere Einzelschicksale unterbrechen können. Aber bei Spielen geht es um viel Geld, das man nicht riskieren will, indem man sein Publikum mit großen Experimenten verschreckt. Deshalb sind Veränderungen in dieser Branche manchmal träge, aber nicht ausgeschlossen: schließlich hat das Genre der Antikriegsspiele, da sind sich Kohring und Greiner einig, Zukunft.
Homefront ist für PC, PlayStation 3 und Xbox 360 erhältlich, ab 47 Euro.
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