Comic in Langzeit-Arbeit: Auf der weißen Linie
Im Comic-Band "White Line" des Hamburger Zeichners Calle Claus geschieht viel Merkwürdiges.
HAMBURG taz | Der Namenlose wankt nachts die weiße Linie entlang und trällert: „I walk the line.“ Seine Frau flirtet im Club fremd. Die Stadt ist leer, er kommt an den Hamburger Hafen. Auf einem Steg steht eine Frau, sie schwingt einen Pinsel. Mit ihr geht er auf ein Schiff, einfach so, warum nicht, gönnt sich Maniküre, Pediküre, bis er am nächsten Tag erkennt, dass er von Piraten entführt worden ist. Die bugsieren ihn auf eine Insel, er kann fliehen, trifft eine Katze mit einem Riesenkopf, mit der eine Romanze beginnt, und verwandelt sich – in einen Elefanten.
Hä? Wer ist dieser Typ? Warum wankt er einer weißen Linie entlang? Was soll das mit der Katze? Und warum ein Elefant? Fragen wir Calle Claus, den Autor des Comic-Buchs „White Line“, der diese Szene erfunden hat. Also: Was wollen Sie uns damit sagen, Herr Claus? „Alles und nichts“, sagt Claus, und man sieht, dass ihn die Antwort freut. Ist er zufrieden mit seinem Werk? „Ein zufriedener Künstler ist kein Künstler.“
Claus’ Atelier in der Hamburger Holstenstraße ist erstaunlich aufgeräumt. Auf den weißen Tischen liegen Zeichnungen eines Schweins mit einem Propeller auf dem Kopf, überall stehen Computer mit einem Apfel-Logo, sieben sind es insgesamt. An der Wand hängt eine Zeichnung von Ferdi Fuchs, jener Figur aus der Werbung, die den Kindern vermitteln soll: Fleisch essen ist super! Ferdi Fuchs ist in diesem Atelier entstanden. Calle Claus hat ihn nicht entworfen, aber er arbeitet stets mit, wenn ein neuer Werbespot produziert werden muss.
Aufgewachsen ist Claus in Hannover, studiert hat er Illustration an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung. Bekannte Werke von ihm sind die „Schanzen Babes“, „Zuckerkick“, „Heart Core Stories“ oder „Findrella – die Königin der Unterwelt“. Zudem hat er ein CD-Cover für Wir sind Helden produziert. An diesem Donnerstag erscheint mit „White Line“ sein bisher seitenstärkstes Werk, knapp 150 Seiten ist es dick.
Der 41-Jährige trägt dunkle Kleidung und Jeans und sieht ganz anders aus als auf seinen Autorenfotos. Auf denen guckt er meist grimmig, als habe er einen schlechten Tag hinter sich und somit keinen Bock, in die Kamera lächeln zu müssen. Doch an diesem Morgen lacht er viel, die Fotografin muss niemals sagen: „Grins doch mal!“
Es geht um das Irreale
Worum es geht in seinem neuen Buch? „Ich wollte spinnen, völlig in die Fiktion abgleiten“, sagt Claus, „und ein Comic zeichnen, in dem Sachen geschehen, die vielleicht nicht einmal der Künstler versteht.“ Es gehe ihm um den Mythos, das Irreale, Unerklärbare, um abgedrehte Fiktion, kurz: um das Warum, nicht das Weil.
Das ist der philosophische Unterton, die Begleitmusik dieses herrlich witzigen und gleichwohl etwas verstörenden Comics: Nichts ist wirklich planbar. Menschen versuchen zwar immer, einer bestimmten Linie zu folgen, um ein Ziel zu erreichen, doch letztlich wissen sie nie, wo sie letztlich ankommen und fragen sich dann: Warum bin ich hier?
Was bei dem Comic besonders erfrischt, ist erstens, dass es ansprechend und amüsant mit dicken Strichen und runden Formen gezeichnet ist und zweitens, dass es vorgegebene Muster sprengt und somit verblüfft. Es gibt keinen roten Faden, Szene reiht sich an Szene, und obgleich man sich beim Lesen öfter wundert, will man mehr erfahren.
Es gehe ihm nicht darum, mit diesem Buch Geld zu verdienen, sagt Claus. Eher sei es aus künstlerischem Idealismus entstanden, es sei Kunst um der Kunst willen. Sechs Jahre lang hat er daran gearbeitet. „Ich hab’ mir keinen Druck gemacht, das Projekt war für mich wie mein Gemüsegärtchen, das langsam gedeiht.“
Auf die Frage, wie lange er schon zeichne, antwortet er lapidar: „Schon immer.“ Sein Vater habe ihm, als er noch ein Knirps war, einen Stift in die Hand gedrückt und gesagt: „So, und jetzt streich die Wände neu.“
"Superhelden sind albern"
Bevor er lesen konnte, schaute sich Claus stundenlang Micky Maus Comics an. Heute entdecke er erneut die alten Comics, die er damals aufgesogen hat, sagt er. Auch Kassenschlager wie Spiderman, Batman, Superman und Co.? „Nö, mit Superhelden hab’ ich nix am Hut, schon als Kind fand ich sie unangenehm“, sagt Claus. „Männer in Strumpfhosen, die von Häusern springen? Is’ doch albern.“
Doch Calle Claus möchte nicht mehr zeichnen: zu oft habe er sich wegen Illustrationen für einen Auftraggeber verbiegen müssen, sagt er: „Dafür ist mir Zeichnen zu heilig.“ Nun will er sich dem Schreiben widmen, weil es ihm „leichter von der Hand“ geht. Mit einem Jugendroman hat er schon angefangen.
Zum Schluss nur noch eine Frage: Was hat es mit dieser weißen Linie auf sich, die in dem neuen Comic eine so eminente Rolle spielt? „Drogen, klar, aber das ist eher nebensächlich“, sagt Claus und grinst, wie so oft an diesem Morgen. „Nee, diese weiße Linie ist eine Metapher für das Leben. Sie zeigt, dass das Schicksal nicht selbstbestimmt ist, sondern die Linie einen zeitweise in die Irre führt, an obskure Orte.“
Und manchmal, aber nur manchmal, verwandelt man sich dabei in einen Elefanten.
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