: Comic-Bilder ohne Hintergrund
■ „Gezeichnete Welten“ von Thomas Honickel, Fr. 20.45 Uhr, West 3
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich widerspruchslos zu Bett ging. Weil ich nämlich am Nachmittag ein Schukarton voller Mickey-Mouse- und Fix-&-Foxi-Heftchen getauscht hatte, um nun in zittriger Erwartung unter der Bettdecke zu schmökern. Erst sehr viel später, im Rahmen meines Kinder- und Jugendbuch-Studiums, wurde mir klar, daß meine (und vielleicht schon die vorangegangene) Generation in eine Welt der visuellen Zeichen hineingeboren wurde.
Das Baustellenzeichen, die Plakatwände, die Corne-Flakes -Packung, die Kaugummi-Bilder, die Mattscheibe (das Zweite Deutsche Fernsehen gibt es erst seit 1963) und schließlich der traumatische Hahn am Grund meines Griesbrei-Tellers. Bereits den ersten Comic, den ich im Alter von vier Jahren geschenkt bekam, schlug mich sofort in seinen Bann. Obwohl oder weil? - ich noch nicht lesen konnte. Das „Lesen“ von visuellen Zeichen hingegen, von Bildgeschichten, war sehr viel unkomplizierter als die mühevolle und endlose Beschreibung des edlen Haarschopfes von Winetou. Im Comic ging alles sehr viel schneller - wie bei einem Videoclip. Ich erinnere mich an einen frühen Freund, der die Heftchen zunächst nur auf die Bilder hin hastig durchblätterte. Heute ist mein Interesse für gezeichnete Welten eher marginal, mit Ausnahme einiger französischer Arbeiten: Franquins Schwarze Gedanken haben natürlich noch ihren Reiz. Gaston kommt auch nicht schlecht.
Marvels Superhelden lese ich auch noch ab und an, aber nur weil mein Freund Michael die aus dem US-Amerikanischen übersetzt und auf meine Bitte hin manchmal „Nimm das!“ oder „Stirb!!“ in die Blasen von Dr. Doom setzt. Außerdem verwendet er meinen Namen. (Im HULK-Taschenbuch Nr. 16 liest einer eine Zeitung, und wenn man genau hinschaut, erkennt man meinen Namen unter dem Leitartikel.)
Das Interesse an französischen Comics, die unter dem Titel Gezeichnete Welten angekündigt waren, begründet sich schon allein daher, daß sie künstlerisch gesehen den besten Ruf genießen. Ausreichende Informationen über französische Arbeiten gibt es bislang auch nicht. Zumindest nicht in filmischer Form. Ron Mans beachtliche Dokumentation The Comic Book Confidentialvon 1988 klammerte den europäischen Markt völlig aus.
Um so enttäuschender war die recht begrenzte, willkürlich getroffene Auswahl dreier französischer Comic-Künstler. Ohne Hintergrundinformationen wurden drei Filmbeiträge im Stil von Bitte Umblättern aneinandergehängt. Wodurch zwangsläufig der Eindruck entsteht, die französische Szene bestünde nur aus Tardi, Loustal und Bilal. Interessante Infos, daß z.B. Jacques Tardi (der in der Szene als Besessener gilt, weil er alle seine gezeichneten Szenen zuvor fototechnisch recherchiert) so ziemlich der einzige Europäer ist, der nach USA übersetzt wird, während er hierzulande bei Carlsen verramscht wird, weil keiner seine suggestiv-pessimistischen Bildwelten haben will, fehlten ganz. Statt dessen klebte die Kamera ziemlich dicht an den Künstlern, schaute ihnen etwa beim Arbeiten zu. Was zwar auch interessant ist, aber zusammen mit den nicht immer ergiebigen Interviews zu biographistisch wirkte.
Es wurde indessen nicht der Versuch unternommen, Erzählweise und Dramaturgie der vorgestellten Arbeiten zu vermitteln, was aber gerade wichtig ist für den Gesamtkunstanspruch neuerer Comics. Da wundert es nicht mehr, daß kaum auf den Text eingegangen wurde.
Fazit: Für einen ersten Eindruck war die Dokumentation nicht verkehrt. Doch wenn man die Künstler mit ihren Arbeiten in einem bezugslosen Rahmen zurückläßt und nur auf die flüchtige Wirkung des (Fernseh-) Bilds vertraut, erfüllt das Ganze zwar (s)einen Zweck als telegene Bildertapete, aber vermittelt wird da eigentlich nichts.
Manfred Riepe
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