piwik no script img

Colette Absolut modern

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich zum ersten Mal bei Colette war. Aber ich erinnere mich genau, wie ich den Mantel zum ersten Mal sah: aus blutrotem Leder, schmal, knapp knielang, der Schnitt von rasiermesserscharfer Eleganz. Man hätte sich vor ihm verneigen wollen. Er hing im Erdgeschoss auf einer kopflosen Kleiderpuppe. Das passte. Im Erdgeschoss von Colette liegen die Gadgets aus, Uhren, Schmuck, Surfboards, Musik, bunte Fahrraduhren von Bookman, Vintage Sneakers von New Balance, Fotobücher, Streichholzschachteln, was auch immer neu, interessant und ungewöhnlich war. Kleider sind im ersten Stock. Aber dieser rote Ledermantel von Yves Saint Laurent stand für sich, selbst bei Colette.

Colette ist ein Concept Store in der Rue Saint-Honoré 213 in Paris. Als die Gründerin Colette Roussaux und ihre Tochter Sarah Andelman vor einigen Wochen verkündeten, dass sie nach zwanzig Jahren zum Dezember schließen wollen, ging die Nachricht um die Welt. Die New York Times berichtete ebenso wie der Guardian, The Hindu oder Die Zeit. Colette wird von der Luxus-Modeindustrie genauso geliebt wie von Kunden wie mir, die dort höchstens mal 15 Euro für eine Zeitschrift oder einen Papierfächer ausgeben. Solche Waren liegen direkt neben einer 72.500 Euro teuren Uhr von Roger Dubuis. Die Treppe rauf in den ersten Stock zu den Designerkleidern zu gehen fordert keine Überwindung. Der ganze Laden ist eine einzige Aufforderung, zu gucken und sich inspirieren zu lassen.

Oben stehen noch mehr kopflose Puppen, in Gruppen oder Reihen. Man erkennt sofort, wie ein Kleidungsstück aussieht, kann um es herumgehen und den Stoff anfassen. Colette hat viele neue Designer vorgestellt, die berühmt wurden. Das tun auch andere Boutiquen, aber das Besondere an Colette war immer diese Mischung aus high and low, berühmten Marken und unbekannten Newcomern. Man muss absolut modern sein, hätte ihr Motto sein können. Das schafft man nicht mit einem Konzept, sondern mit Mut, einem eigenen Kopf. Die PR der Modeindustrie predigt pausenlos Individualität, um uns allen dann dieselben blau-weiß gestreiften T-Shirts zu verkaufen. Colette und ihre Tochter Sarah Andelman sammelten ausschließlich, was ihnen – und nur ihnen – gefiel. Das klingt einfach, ist aber so selten wie ein Jahrhundert­roman. Und es war ein Bestseller. Sie machten damit: 26 Millionen Euro Jahresumsatz.

Es passt, dass sie ihren Laden nicht verkaufen: „Ich weiß, die Leute denken, es sei verrückt, dass wir lieber schließen, als unseren Namen zu verkaufen, denn er ist wertvoll. Aber wir wussten, wenn jemand anders ihn weiterführen würde, wäre es nicht dasselbe“, erklärte Sarah Andelman der New York Times. Dior ohne Dior gilt immer noch als Dior. Aber Colette ohne Colette gibt es nicht. Das ist wahrer Adel. Wie der Mantel von Yves Saint Laurent. Anja Seeliger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen