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■ Press-SchlagCogito, ergo sum

Das Prinzip ist eigentlich simpel: man verbindet einen auf einem Stahlrohr laufenden Rollsitz mit einem Trittbrett sowie einer Zugkette mit Griff, die ein luftwiderstandgebremstes Windrad antreibt, schon hat man einen Ruderergometer. War dieser in früheren Zeiten wegen seiner Eintönigkeit bei Athleten als die Fortsetzung seelischer Trainergrausamkeit mit anderen Mitteln verschrien, so erfreut sich die heute nunmehr mattschwarz-chromglänzende Rudermaschine großer Beliebtheit. Denn irgend ein findiger Amerikaner hatte die geniale Idee, einen Computer dranzuschrauben, der die per Windrad erzielte Leistung in „Bootsgeschwindigkeit“ und zurückgelegte Meter umrechnet und Leistungen so meß- und damit vergleichbar macht.

Seitdem sind die vorher so ereignisarmen Rudererwinter voll von Vergleichswettkämpfen am standardisierten „Concept 2“. Jährlich wird in Boston eine Weltmeisterschaft ausgetragen, die Besten werden dort exklusiv hofiert und popularisieren so das einige tausend Mark teure Gerät.

Ein Vorwettkampf der WM fand am Samstag in der Schöneberger Sporthalle statt, um – so das etwas vorlaut angekündigte Ziel – den Ruderinteressierten einen Ersatz für die im Sommer ausgefallene „Große Grünauer“ zu bieten. An Ruderprominenz fehlte es unter den Teilnehmern nicht; Namen wie Bernd Eichwurzel, Jens Köppen, Kristina Mundt, Thoralf Peters, Detlef Kierchhoff und Dana Pyritz sind seit Jahren Dauerbrenner in olympischen und weltmeisterlichen Medaillenstatistiken.

Dennoch: Zunächst bestechen Ergometerwettbewerbe nicht durch optische, sondern durch obskure akustische Qualität. Wie eine millionenstarke Bienenschwadron klingt das permanente Surren der Windräder, nur unterbrochen von vereinzelten Schmerzensschreien der Trockenruderer und dem sich zum Ende des Rennens ins dramatische Crescendo steigernden Gebrüll der Trainer. Bei normalen Regatten ist ihnen die lautstarke Unterweisung ihrer Schützlinge verboten, hier können sie sich nach Herzenslust austoben.

Jeder Ergomane bekommt von seinem direkt neben ihm sitzenden Trainer einen onomatopoetische Schreikrampf ins Ohr getrichtert: „Jawoll – uuuuuund – kommmmm – jiiiiip – heeeeeppp – dieeee – Beiiiine – blaaaaaib – dran“. Jeder Schlag des Schützlings wird rhythmisch unterstützt und dem Hang zur dadaistischen Poesie ungehemmt freier Lauf gelassen. Der Enthusiasmus von Ruderer, Trainer und Zuschauer ist dabei auf eine Vielzahl von Monitoren angewiesen, die mit Hilfe von kleinen grauen, sich unterschiedlich schnell fortbewegenden Schiffchen auf blauem (!) Grund über die Position der jeweils 8 Rennteilnehmer zueinander informieren. Zusätzlich ist an jedem Ergo ein kleiner schlauer Kasten, der ständig über Schnittzeit, Schlagzahl und die Zahl der zurückgelegten Meter Bescheid weiß.

Die technischen Krücken verschleiern das Hauptmanko des Hallenruderns: Leistungsunterschiede werden direkt nicht sichtbar. Nur nach längerem Zuschauen bemerkt der geübte Beobachter Qualitätskriterien: Die versierten Profis verziehen bei der 2.500 künstliche Meter langen Tortur kaum die Miene und steigen anschließend einigermaßen gefaßt ab. Die Gesichtszüge von Nachwuchs und Amateuren dagegen ähneln kurz vor Ende der Rennen nicht selten Meisterstücken von Maskenbildnern des Horrorgenres, der Abstieg vom Gerät erfolgt oft durch schlichtes Herunterplumpsen.

Erwartungsgemäß setzte sich beim Wettkampf die international erfahrene Ruderelite durch, die Ergebnisse blieben jedoch hinter den Weltbestmarken zurück. Internationale Rekordhalter sind beim Ergometer meist Spezialisten, die im Boot durch mangelnde Balance und Technik Probleme hätten, aber über zwei Voraussetzungen verfügen müssen: enorme Kraft und schlechte Ohren. Matthias Mellinghaus

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