■ Clinton und die Unbillen des Wirtschaftsprogramms: Wieder ein „big spender“?
In der Wahlkampfrhetorik schien noch alles einfach – und vor allem machbar. Mit großem Reformeifer hat der amerikanische Präsdident Bill Clinton seine Visionen präsentiert. Bei der Durchsetzung der Pläne hingegen tut sich seine Administration äußerst schwer. Bestes Beispiel: die wirtschaftlichen Maßnahmen. Gleichzeitig wollte Clinton die Wirtschaft ankurbeln und das Budget reduzieren. Alles klar und simpel, dachten alle, genau das brauche die Nation nach der neokonservativen Bush-Reagan-Ära. Wie dies allerdings gelöst werden sollte, blieb vielen Ökonomen von Anfang an ein Rätsel. Die massiven Steuererhöhungen und bescheidenen Ausgabenkürzungen in Clintons Programm lassen den Präsidenten, der zumindest im Wahlkampf noch als neuer Demokrat auftrat, immer mehr in den Verdacht geraten, sich der alten tax and spend-Tradition anzupassen. Das Herabfahren der Defizite, von der Wählerschaft immer lautstarker gefordert, engt den Handlungsspielraum des Präsidenten zusätzlich ein. Clintons wirtschaftspolitisches Management gerät so zunehmend bei der Wirtschaft und unter der Bevölkerung in Mißkredit.
Daß die Schonzeit für Clinton in der Zwischenzeit abgelaufen ist, zeigen auch die Rückschläge, die er bereits hinnehmen mußte. Das 16 Milliarden Dollar teure Konjunkturprogramm hat der Senat kassiert, prominente Abgeordnete seiner Partei rebellieren gegen die soeben mit hauchdünner Mehrheit im Repräsentantenhaus beschlossenen Steuererhöhungen. Einige demokratische Senatoren aus den erdölreichen Südstaaten wollen ausgerechnet die Energiesteuer, Clintons wohl wegweisendster Kurswechsel, mit aller Gewalt zu Fall bringen. Weder der Präsident noch sein Finanzminister Lloyd Bentson scheinen über das nötige politische Gewicht zu verfügen, die Revolte im eigenen Lager niederzuhalten. Zwar ist der parteipolitische gridlock, bei dem sich ein republikanischer Präsident und eine demokratische Kongreßmehrheit gegenseitig blockierte, zu Ende, doch die finanzkräftigen Interessengruppen verstehen es nach wie vor, ihre Wünsche durchzusetzen. Wie befürchtet, werden die besten Ideen in den Mühlen der Lobby- und interessengruppen langsam zermahlen. So haben sich die mächtige Erdölindustrie und die energiefressenden Industriebranchen sich auf die Energiesteuer gestürzt, die Versicherungskonzerne auf die geplante Gesundheitsreform. Wahrscheinlich werden am Ende leider bei beiden Vorhaben Abstriche gemacht werden. Aber trotz aller Unkenrufe: Clinton ist noch lange nicht am Ende, auch wenn er momentan zu zögerlich erscheint. Noch hat er seinen Tatendrang. Und angestoßen hat er auch schon vieles. Erwin Single
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