■ Clinton schließt per Gesetz die Grenzen für HIV-Positive: Kein Meister der Offensive
Da liest ein New Yorker Bundesrichter der Regierung in Washington die Leviten, erklärt ihre Flüchtlingspolitik für unmenschlich und ordnet an, umgehend rund 150 HIV-positive Flüchtlinge aus Haiti ins Land zu lassen. Die Regierung, so möchte man meinen, ist ob dieser klaren Worte fast erleichtert und verspricht, Folge zu leisten. Zwei Tage später aber unterzeichnet der Präsident eine Vorlage, die zum Gesetz macht, was bislang „nur“ herrschende Politik war: Die Grenzen der USA bleiben weiterhin für HIV-positive Immigranten und Flüchtlinge geschlossen.
Das sieht auf den ersten Blick wieder nach einem Slalomkurs à la Clinton mit eingesprungener Bauchlandung aus. Hatte er doch im Wahlkampf versprochen, erstens haitianische „Boat People“ im allgemeinen und die HIV-positiven im besonderen ins Land zu lassen, die seit Monaten auf Anordnung der Einwanderungsbehörde und mit ausdrücklicher Billigung der Bush-Administration auf dem Navy-Stützpunkt in Kuba interniert waren – eine Art militärisch bewachtes Übergangsstadium zwischen Leben und Tod. Und hatte er nicht überhaupt versprochen, das Einreiseverbot gegen HIV-positive Immigranten und Flüchtlinge aufzuheben?
Daß er letzteres nicht eingehalten hat, kann man ihm nicht vorwerfen. Das Gesetz, das er da unterschrieben hat, basiert auf einer überwältigenden Mehrheit im Kongreß, gegen die Bill Clinton chancenlos wäre, würde er ein Veto einlegen. Es war eine jener Machtdemonstrationen des Parlaments mit dem Ziel, dem neuen Präsidenten das auszutreiben, was viele Senatoren auch in der Demokratischen Partei für sozialromantische „Flausen“ halten.
Vorwerfen kann man Bill Clinton allerdings, daß er es im konkreten Fall der haitianischen Flüchtlinge wieder einmal versäumt hat, Politik zu machen – was in diesem Fall nicht nur aus ethischen Gründen verwerflich ist. Hier nämlich hätte er eine formidable außerparlamentarische Koalition auf seiner Seite gehabt: der New Yorker Kardinal John O' Connor, der angeboten hatte, die Aids-Kranken in den Hospitälern seiner Diözese aufzunehmen; das politische Multi-Showtalent Jesse Jackson; den inzwischen an Aids verstorbenen Tennis-Star Arthur Ashe. Sie alle haben sich eingesetzt. Doch statt dessen hat Bill Clinton geschwiegen und wieder nicht begriffen, daß man gerade in seinem Land mit offensivem Eintreten für scheinbar unpopuläre humanitäre Anliegen nicht nur persönliche Integrität, sondern auch politisches Kapital gewinnen kann. Es mußte schon ein Richter mit Rückgrat kommen, um ihm sprichwörtlich in den Hintern zu treten. Andrea Böhm, Washington
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