Claudius Prößer denkt über Eisblumen und den Verbleib seiner Funktionswäsche nach: Es ist kalt
Kälte kann sehr kitschig sein. Nicht nur zierten Eisblumen am Montagmorgen die schlecht isolierten Fenster des taz-Altbaus in der Rudi-Dutschke-Straße – nein, aus irgendeinem Grund hatte der Kristallbelag auf vielen der kleinen Einzelscheiben die berühmte Form „Elefant in Schlange = Hut“ aus dem „Kleinen Prinzen“ angenommen. Ein herzerwärmendes Bild, zumal in Kombination mit einer Tasse heißen Fair-Trade-Tees.
Weniger kitschig ist die Kälte in diesen Tagen für Menschen, deren sogenannter Lebensmittelpunkt auf der Straße liegt – wie die Bettlerin neben dem Eingang zum U-Bahnhof Leopoldplatz. Zum Schutz vor der eisigen Luft hatte sie sich in einen Kokon aus schmutzigen Decken und Schlafsäcken gehüllt, Geldspenden nahm sie durch ein winziges Loch in der Mitte an.
Solange es warm ist, kann man leicht über Kälte reden. Es gibt Leute, die sehnen sie regelrecht herbei. Ist sie dann so richtig da, mit minus 12 Grad, die der Wind nach minus 20 (gefühlt) saugt, spürt man erst wieder, wie unerbittlich, ja physisch bedrohlich sie ist. Wie ein scharfes Reibeisen bearbeitet sie Hände und Gesicht, durch Jeans und Baumwollpullover fasst sie uns an, als stünden wir nackt vor ihr. Dumm, wenn Wolle und Funktionswäsche an unbekanntem Ort verstaut sind, weil es so kalt ja schon ewig nicht mehr war. Oder?
Nicht ganz: Es gibt immer wieder kräftige Ausschläge nach unten, wie im berüchtigten Glatteiswinter 2010 („Berlin ist nicht Haiti“) oder um die Jahreswende 1996/97, als man den Silvestersekt im Freien so schnell wie möglich hinunterkippen musste, weil er sonst in den Gläsern gefror. Aber im Großen und Ganzen stützt die Statistik doch unsere Wahrnehmung: Die höchsten Temperaturmaxima und -minima der letzten hundert Winter häufen sich auffällig seit den 1990er Jahren, die entsprechenden Tiefstwerte finden sich eher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum hatte übrigens das Jahr 1971 den kältesten 4. Januar – mit 17,0 Minusgraden.
In ein paar Tagen soll der Spuk dann ja auch schon wieder vorbei sein. Wenigstens haben dann die Kinder mal wieder gelernt, was „Frieren“ überhaupt bedeuten kann. Eine Erfahrung fürs Leben. Die hat sich der Autor dieser Zeilen am Montagmorgen versagt: Er hätte auf einem Pressetermin das neugeborene Elefantenbaby im Tierpark FriedrichsfeldeinAugenscheinnehmendürfen.Undverzichtetedarauf: Es war zu kalt.
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