Claudia Römer : Atemlos in Mettmann
Nicht in Bayern oder Berlin, sondern in Nordrhein-Westfalen werden die Bundestagswahlen entschieden. Denn da gibt es die meisten Einwohner, das lernte ich schon als Kind. Und weil der größte Kreis von NRW Mettmann heißt, ging ich dort durchaus mit Stolz zur Schule. Die Kommunalwerbung „ME = Mehr Erleben!“ gefiel mir auch gut. ME ist das Nummernschild, und KFZ-Zeichen waren wichtig. Immer wenn wir mit dem Autoquartett fertig waren, schrieben mein Bruder und ich alle Wagen vor dem Haus auf. Vielleicht hat er die Hefte noch.
In der Regiobahn nach ME saß neulich ein Kind entgegen der Fahrtrichtung und rief: „Wenn man so sitzt, ist alles schon vorbei. Aber man sieht noch lange, was schon vorbei ist.“ Ein gelungener Auftakt zum Ehemaligen-Treffen in meiner alten Schule.
Wie Geheimagenten murmelten wir auf dem Hof zur Begrüßung unsere Namen. Die meisten waren ihrem Style treu geblieben. Doch Körper ändern sich, während die tausendfach verlesenen Schülernamen im Hirn kleben bleiben wie die Schlager der Hitparaden. Bei den ersten Klängen machte es Klick, und wir sahen, was eigentlich vorbei war, krasser Blick entgegen der Fahrtrichtung.
Ein frischer Direktor zeigte uns frische Gebäude. Es ist die einzige Konrad-Heresbach-Schu-le auf der Welt. K. H. war ein „früher Humanist“, der Mettmann sehr früh, nämlich 1503 im Alter von nur sieben Jahren, verließ. Wir hatten darauf ja bis zum 18. Lebensjahr warten müssen. Heutzutage gab es in der 6. Klasse Drohnen-Workshops, und spätestens dann fingen die Schüler und Schülerinnen an, ihre Abschlussfeier zu planen, erklärte der Direx.
Wir waren da früher unkompliziert und eher mit der Entscheidung beschäftigt, ob wir Popper, Hippie, Punk oder doch besser Normalos sein wollten. Es war zudem die große Zeit des Tanzsports: Pogo, Klammerblues und Polonaise. Egal, Hauptsache, mehr erleben.
Nach dem Rundgang durften wir uns in ein Klassenzimmer verziehen. Weitere Absprachen waren wie einst nicht nötig. Wir packten Chips, Luftschlangen, Cola- und Bierdosen aus. Raum so dunkel wie möglich. Lief wie geschmiert, so wie der Recorder mit den Supersongs „Eisgekühlter Bommerlunder“, „Atemlos durch die Nacht“ und „Samba Pa Ti“. Herrlich. Alles wie immer.
In diesem Jahr haben wir uns nun erstmals auch für den Blotschenmarkt verabredet. So wird in ME der Weihnachtsmarkt genannt, weil die Menschen hier lange Zeit in riesigen Holzschuhen namens Blotschen umherliefen. In eben diesen wollen wir „Atemlos durch die Nacht“ auf der dortigen Bühne tanzen, zu Ehren der Konrad-Heresbach-Absolventin Kristina Bach, eigentlich Kerstin Bräuer, von der Komposition und Text sind.
Ehrlich wahr. Helene Fischer hat das Lied nur übernommen, weil sie, so wie wir, unbedingt mal mehr erleben wollte. Hat dann ja auch geklappt. Leute, nicht nur wegen der anstehenden Wahlen im Februar, nein, schon jetzt: Schaut auf diese Stadt, Kreisstadt Mettmann!
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