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Cindy aus Marzahn, Mario Barth & Co"Verwahrlosung der Sitten"

Live-Comedy boomt. Die Deutschen strömen in die Hallen, um über Cindy und Barth zu lachen. Dabei dachten die Moralisten, die "Spaßgesellschaft" sei am Ende. Was ist da los?

Massive Präsenz und Witze über ihre "Alzheimer-Bulimie": Cindy aus Marzahn. Bild: rtl

Während die Comedy im Fernsehen schon bessere Zeiten erlebt hat, boomt das Comedy-Livegeschäft. Neben Branchenführer Mario Barth können inzwischen diverse Comedians große Hallen füllen. Der neue Star Cindy aus Marzahn hat soeben an drei Tagen in Folge das Berliner Tempodrom mit 2.800 Plätzen ausverkauft.

Warum lassen Leute, die Comedy mögen, scharenweise die Fernbedienung liegen, um sie live zu erleben? "Weil die Leute Spaß haben, wegzugehen, weil es draußen eh schon düster genug ist", sagte Cindy aus Marzahn der sonntaz.

Cindys Tour mit dem Titel "Nicht jeder Prinz kommt uff'm Pferd" ist nach Angaben ihrer Produktionsfirma "Princess TV" bis in den Sommer hinein fast ausverkauft. Auch Künstler wie Eckart von Hirschhausen, Dieter Nuhr, Michael Mittermeier oder Bülent Ceylan ziehen ein großes Live-Publikum an. "Die Leute wollen angesichts der erschlagenden medialen Eindrücke irgendwo hingehen und sagen: Das gibt es wirklich. Da war ich. Es war lustig", sagt Jörg Grabosch, Pionier des Comedy-Geschäfts und als Geschäftsführer von Brainpool genau wie Cindy selbst mit 50 Prozent an "Princess TV" beteiligt.

Der Bestseller-Autor und Star-Comedian Eckart von Hirschhausen sagt: "Die Menschen sehnen sich gerade heute wieder nach Live-Erlebnissen, gerade weil alles auf DVD, youtube und TV verfügbar ist. Lachen ist immer ein soziales Phänomen."

Gesellschaftskritiker sehen den Erfolg der Comedians mit Sorge. Der Publizist Michael Jürgs hält Mario Barth und Cindy aus Marzahn sogar für demokratiegefährdend. "Sowas kommt von sowas", sagte Jürgs der sonntaz. "Aus Dummheit wächst Verwahrlosung der Sitten". Jürgs, 64, war unter anderem "Tempo"- und "Stern"-Chefredakteur. Cindy, etwa, scherzt gern darüber, sie habe"Alzheimer-Bulimie": Sie esse den ganzen Tag und vergesse abends zu kotzen. "Das finde ich nicht komisch angesichts von 1,2 Millionen Demenzkranken in Deutschland", sagte Jürgs. Mario Barth sei "der Schlimmste von allen".

Comedy-Impresario Grabosch weist die Kritik zurück. Mario Barths Programm sei sicher "nicht die Entdeckung der Kernphysik", sondern "Unterhaltung, wie in der Popmusik die meisten Songs übrigens auch."

Bild: taz

Dieser Text findet sich in voller Länge in der gedruckten taz vom 13./14. Februar 2010. Am Kiosk.

Seine These: Comedians sind deutsche Popstars des 21. Jahrhunderts. "Nicht die einzigen Popstars, aber eben auch Popstars". Für Grabosch ist der Live Comedy-Boom bildungs- und schichtenübergreifend. Man solle sich mal das Publikum von Dieter Nuhr und Eckart von Hirschhausen ansehen: "Akademiker in erhöhter Dichte."

Währenddessen ist die Comedy im Fernsehen in der Krise. Der Comedy-Freitag bei RTL ist abgeschafft, ambitioniertere Comedy-Formate sind Mangelware. Sinkende Werbeeinnahmen, sinkende Etats, steigende Angst und Aufgeregtheit. "Ich glaube, es gibt eine grundsätzliche Krise des Fernsehens. Das ist der Grund, warum ich kaum fernsehe und kein Fernsehen mache - zumindest derzeit", sagte der Schauspieler und langjährige ProSieben-Star-Comedian Rick Kavanian.

Kavanian, 38, spielte eine Hauptrolle in "Der Schuh des Manitu", dem erfolgreichsten deutschen Film aller Zeiten. Er war Partner von Bully Herbig in den TV-Comedy-Klassikern "Bullyparade" und "Bully und Rick". Heute schaut er gar kein Privatsender mehr, allenfalls noch ZDFneo oder 3sat.

Lacht Deutschland sich kaputt? Peter Unfried geht dieser Frage in der sonntaz-Titelgeschichte nach. Er hat mit Comedians und ihren Kritiker gesprochen und sich die Auftritte angesehen, um herauszufinden, welchen Gesetzen das Lachgeschäft folgt.

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23 Kommentare

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  • G
    gerdos

    Schlichten Geistern gönne ich auch ihren schlichten Humor. Das Lachen über Barth zu 90 % frauenfeindliche Witze sagt viel über sein Publikum aus. Ab 6.35 Uhr wird zurückgelacht. Haha. Ich sehe und höre lieber die etwas anspruchsvolleren Spassvögel Schmickler, Priol und Pispers. Nuhr war mal gut, bemüht sich aber, immer mehr in die sexualisierte Humorkiste abzugleiten.

     

    Die Fans von Barth und Co. sind dieselben Typen aus der Kategorie "Wir amüsieren uns zu Tode", die jedes Wochenende zu zigtausenden in die Fussballstadien der Bundesliga gehen und Millionären bei der Arbeit zusehen.

  • C
    clementine

    "Der Publizist Michael Jürgs hält Mario Barth und Cindy aus Marzahn sogar für demokratiegefährdend."

     

    Auf diese von staatstragender Sorge erfüllte Erkenntnis ein dreifach donnerndes Helau!

  • L
    Langenhagen

    Naja...

    Heute füllen vielleicht Dumpfcomedians Hallen, aber die Generation davor hat massenhaft über "eine Flasche Pommes" von Diddi Hallervorden und Schauspielern mit falschen Zähnen und Flaschenbodenbrillen bei "Sketchup" im Fernsehen gelacht. Und als es nur drei Sender gab, waren die bestimmt auch nicht weniger präsent im öffentlichen Gedächtnis.

  • RH
    Rene Hoffmann

    Herr "Gesellschaftskritiker" (noch´n Beruf...), gehen Sie zum Lachen in den Keller ? Ein Mensch, ob Cindy, ob Mario, ob Atze oder weiß der Geier wer, macht harmlose Witze, keiner fühlt sich beleidigt, die Leute amüsieren sich köstlich, haben einen schönen Abend und gehen vergnügt nach Hause - SO WHAT ????

    Schon wer sich so eine düstere Titelzeile ausdenkt, dokumentiert damit doch nur, daß er / sie ein Problem hat, nicht das Publikum von Mario Barth und Konsorten.

    Lernt lachen, Leute, nehmt Euch nicht selbst so wichtig - oder bleibt im Keller !

  • BS
    Bart S.

    Ob Deutschland sich kaputt lacht? Meiner Meinung nach: Ja! Und weil heute ja immer irgendwer Schuld haben muss, sehe ich selbige bei der Medienüberpräsenz der "Comedy Elite". Barth, Schröder und die rosarote Nervensäge aus Marzahn sehe ich genau deshalb eher im Abwärts- als im Aufwärtstrend. Und ich fände es schön, wenn sie Mittermeyers Beispiel folgen würden und einfach mal für ein, zwei Jahre die Schnauze halten würden.

     

    Von Hirschhausen, Nuhr oder Schubert dagegen müssen nicht ständig und überall (im Fernsehen) Ihre Witze erzählen. Gelegentliche Auftritte lassen Ihre Form der Comedy-Unterhaltung auch außerhalb von Live-Programmen zur willkommenen Abwechslung werden. Ich hoffe, dass das auch so bleibt.

  • G
    Gesellschaftskritikerkritiker

    Wem es ernsthaft gelingt sich über handzahme

    klischeelutschende Werbewitzbolde wie Mario

    Barth zu empören, der sollte sich zwecks Per-

    spektivzurechtrückung mal eine Woche lang US-

    Comedy von Doug Stanhope, Joe Rogan oder auch

    nur Videos des verstorbenen Altmeisters George

    Carlin ansehen.

  • FF
    Fritz Frie

    Hallo,

     

    ich bin über solche Berichte und über die Verwunderung über die Einschaltquoten von Gerichtsshows, usw. immer wieder verwundert.

     

    Diese Veranstaltungen liegen auf dem Niveau des Durchschnitts-Deutschen. Da fühlt er sich zuhause, da kann er folgen...

  • M
    Marc

    "Die Deutschen strömen in die Hallen, um über Cindy und Barth zu lachen"

    Die CDU und FDP gewinnen die Bundestagswahlen.

    Die Bild ist die meistgelesene Zeitung.

     

    Ja, irgendwas stimmt nicht in Deutschland.

  • M
    Martin

    "Verwahrlosung der Sitten". Warum nicht gleich "Entartung"?

  • R
    reblek

    Niveaulosikeit ist nicht strafbar.

  • D
    david

    Ich finde, gerade Mario Barth und Cindy aus Marzahn bekräftigen die These, dass die SPassgesellschaft am Ende ist...

  • S
    Stern-Opfer

    Ich halte eher Leute wie Michael Jürgs für demokratiegefährdend, die mit sinnlos-provokanten Thesen die Lufthoheit über den Stammtischen der Bildungsbürger suchen und Ablenkungsthemen aufbauen. Wenn diese selbsternannten Meinungsmacher der Republik den Bürgern ihr Freizeitverhalten vorschrieben wollen, kann man sie nicht Ernst nehmen.

    Ist wirklich Mario Barth unser Problem oder z.B. die Tatsache, daß die Regierung ohne weitere Diskussion mal eben 30 Milliarden für Eurofighter verballert, die keiner braucht?

  • SS
    Stephanie Seidel

    "Man solle sich mal das Publikum von Dieter Nuhr und Eckard von Hirschhausen ansehen: Akademiker in erhöhter Dichte".

     

    Das Programm der genannten weist ja nun mal ein geringfügig höheres Niveau auf als das von Mario Barth; dass es zum Beispiel - wie Dieter Nuhr sagt - "immer noch leichter ist, auf Politiker zu schimpfen als sich selber politisch zu engagieren", dass wollen Fans der ganz, ganz seichten Unterhaltung doch gar nicht hören.

     

    Sich in diesem Zusammenhang ausgerechnet auf Künstler dieses Formats zu berufen, ist von Grabosch daher eine Riesenunverschämtheit.

  • L
    Leser

    Herr Hirschhausen hat das schön formuliert. "Man sehnt sich nach Live-Auftritten...." Genauso ist es! Man erlebt einen unterhaltsamen Abend, lacht viel und kommt aus den eigenen vier Wänden heraus.

    Warum muss in Deutschland immer alles schlecht geredet werden?

     

    Ich persönlich mag Comedy und Kabarett. Ich geh zu Mario Barth, zu Cindy aus Marzahn, aber auch zu Dieter Nuhr und les mit Vorliebe die Bücher von Herrn Hirschhausen (könnte noch einige Beispiele mehr nennen). Dabei möchte ich mir aber keine Gedanken darüber machen, aus welcher Gesellschaftschicht ich komme und ob ich Akademiker oder Arbeiter bin. Ich möchte einfach nur lachen können! Schade, dass man immer wieder in Schubladen gesteckt wird, wenn man zu bestimmten Künstlern steht. Das Phänomen ist aber auf beiden Seiten zu beobachten. Sitzt man unter Akademikern, bekommt man zu hören "Was? Du gehst zu Mario Barth?" Sitzt man zwischen normalen Arbeiten "Was? Kabarett? Nee, das geht gar nicht. Das ist nicht lustig.

     

    Ich bin der Meinung, es geht beides....man darf sich nur nicht von vorneherein verschließen, sondern nach allen Seiten offen sein und sich auch keine Gedanken darüber machen, ob das nun "intelligenter Humor" ist....einfach wirken lassen....und dann erst kritisieren.

     

    Außerdem bin ich der Meinung, man sollte auch Komikern wie Mario Barth und Cindy aus Marzahn respektvoll gegenübertreten. Wenn man so erfolgreich ist, das fällt einem auch nicht so einfach in den Schoß. Dafür muss man mit Sicherheit auch hart arbeiten.

     

    Also ich bleib weiterhin neutral und wünsche allen Komikern/Comedians/Kabarettisten weiterhin viel Erfolg!

  • `.°.´

    Wem es "ernsthaft" gelingt sich über handzahme,

    freiwillig selbstbeschränkte deutsche Comedy

    zu empören, dem empfehle ich einen Auftritt des

    US Comedians Doug Stanhope. Um mal die Perspektive

    zurechtzurücken.

  • T
    Thorsten

    Würde ich nicht Lachen müsste ich Weinen.

  • U
    und...

    das ganze erinnert mich irgendwie an "brot u. spiele"

    je schräger es in einem staat läuft, je machtloser sich der einzelne fühlt o. fühlen will, um so größer ist der hunger nach zerstreuung, aber wohl auch nach einer form von solidarität...???

    diese soli könnte dann im vermehrten besuch von liveverantsltungen ihren ausdruck finden, sozusagen als 2000er alternative zu "wirklichen" demos...in denen man auf polsterstühlen nähe erfährt, an stelle der früher üblichen hand -in -hand ketten.

    außerdem ist die überzeichnung der traurigen realität, ja ein prima ventil u. das volk bekommt u. nimmt offensichtlich, was das volk will, eben wie bei den wahlweise römischen urvätern dieser veranstaltungsvarianten...man nehme etwas so gruseliges, dass es die realität nur noch blass durchschimmern lässt u. schon ist jedes aufbegehren gebannt...

    das nach draußen gehen,im sinne von von live-comedy-besuchen, ähnelt einer art getarnten demo, die die themen des frustranen alltags mit schrillem gelächter übertüncht, anstatt der früher beliebten transparente u. handfesterer argumentationen...

     

    das man vor der glotze höchstens den aggressionsspiegel tunen kann, liegt sicher neben dem faden programminhalt, vor allem an der unerträglichen werbeoffensive, der man sich nur durch den genuss von rauschmitteln o. eben radikalem abschalten entziehen kann.

    die sender, die themen mit weniger flachem inhalt bieten, sind ja auch nur bedingt unterhaltsam, spiegeln sie doch ohne spaßfaktor, was auf der guten alten erde so getrieben wird, was ja so gar nicht zum lachen ist.

     

    also auf zur nächsten lachdemo, sein die dort wiedergekäuten themen auch noch so flach.

    letztlich spiegeln sie wohl in anbetracht der erfolgsquote (diese sei den machern gegönnt!), das bedarfsniveau---ist halt enfacher, als sich tatsächlich mit der aus dem ruder laufenden gesellschaft zu beschäftigen u. lachen ist ja auch irgendwie gesund...;o)

     

    versöhnlich ist aber, dass auf diese weise zumindest im ansatz dem staat u. dem volk ein spiegel vorgehalten wird, auch wenn dies nicht unbedingt jeder mitbekommt.

  • B
    Bürger

    Dass das Fernsehen, nicht nur die Comedy im Fernsehen in der Krise stecken, sind die Sender in gewisser Weise auch selber schuld. Zum einen weil man aus Bequemlichkeit Sendeformate kopiert anstatt sich die Mühe zu machen etwas anderes und wirklich neues zu entwickeln, zum anderen weil man immer öfter, nicht nur während der Sommerzeit, Wiederholungen zeigt. Hier liegt eindeutig der Vorteil von Live Auftritten, es ist immer etwas anderes, frisches und aktuelles.

  • L
    LinkesBazillchen

    Das ist die Dekadenz die es nicht gibt.

  • HT
    HUBER tus

    Jede Zeit hatte ihre Spaßmacher. Früher waren es Herbert Hisel & Co. für breite Bevölkerungsschichten, Otto war für das jüngere Publikum zuständig (wobei es mir schleierhaft ist, warum er mit den gleichen Witzchen heute noch Hallen füllt). Eine Verwahrlosung der Sitten sehe ich nicht, sondern vielmehr ein Spiegel worüber heute die Masse unserer Gesellschaft lacht.

    Cindy aus Marzahn und Mario Barth & Co. werden ihre Späßchen noch eine Weile vorführen, bis sie dann vollgestopft mit Geld à la Otto aufhören werden.

    Das Privatfernsehen hat es geschafft durch penetrante Langeweile und immer wieder das gleiche Vorführende sogar die anspruchslosesten Zuschauer anzuöden. Aber die Macher von RTL & Co. werden schon wissen, ob das Gleichgewicht aus Langeweile und Werbeeinnahmen noch wirtschaftlich ist. Solange werden die "Privatfernseher" dieses Programm noch ertragen müssen.

  • I
    ImExil

    Ich lebe jetzt schon seit geraumer Zeit in England und habe hier den Vergleich. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass in Deutschland keine Comedians existieren.

  • W
    Werner

    Comedians sind nicht gleich Comedians - lustig finde ich sie alle, aber Cindy v. Marzahn und Mario Barth sind sicherlich von anderer Art als Eckhart v. Hirschhausen und Dieter Nuhr. Man kann hier sicherlich nicht alles in einen Topf werfen; gefühlt gibt es aber zumindest noch den Unterschied zwischen Comedy und Kabarett ...

  • LE
    Ludger Ester

    Ist mir jetzt nicht klar, warum Michael Jürgs jetzt plötzlich als die Humor-Elite oder Autorität verkauft wird - er hat sich auch schon billiger verkauft.