Christopher Street Day: Schaut auf diese Frauen!
Frauen sind auf der Parade zum Christopher Street Day seit je unterrepräsentiert. Lesbische Aktivistinnen kritisieren diese Unsichtbarkeit und fordern: "Spielt endlich offen".
Unter dem Motto "Normal ist anders!" rollt am Samstag die Parade des Christopher Street Day (CSD) durch Berlin. Rund 50 Wagen und tausende Aktivisten ziehen vom Kurfürstendamm über die Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor. Dort wird erstmals die Schlusskundgebung (17.30 Uhr) abgehalten. Eröffnet wird der Umzug vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) um 13 Uhr am Kurfürstendamm. Der Christopher Street Day steht weltweit für das Selbstbewusstsein der Homosexuellen und ihren Widerstand gegen Diskriminierung. Er geht auf Vorfälle am 28. Juni 1969 in New York zurück. Nach einer Razzia der Polizei in einer Szenebar kam es damals zum Aufstand von Schwulen und Lesben mit Straßenschlachten in der Christopher Street. (dpa)
Wenn am Samstag Hunderttausende zum Christopher Street Day (CSD) für mehr Sichtbarkeit all derer demonstrieren, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, werden Lesben wieder einmal eine Nebenrolle spielen. Wie in den vergangenen Jahren werden vor allem Bilder von Schwulen in schrill-bunten Kostümen die Medien dominieren - nur dann und wann taucht einmal ein Händchen haltendes, küssendes Frauenpaar auf, selten verkleidet. Von den 53 Paradewagen sind dieses Jahr gerade mal zwei von Lesben angemeldet worden. Nur die Veranstalterinnen des großen Lesbenfestivals L-Beach und der Berliner Sportverein "Seitenwechsel" werden mit je einem Wagen vertreten sein.
"Die meisten Wagen sind gemischt, aber natürlich sind da immer weniger Frauen als Männer drauf", sagt Claudia Rische, deren Agentur sich um die Pressearbeit des CSD kümmert. Eine Statistik gibt es nicht, aber Frauen würden die Parade genauso zahlreich besuchen wie Männer, so Rische.
Trotzdem: "Der CSD gilt immer noch als Schwulenparade, und dass Homosexualität auch Frauen betreffen kann, ist immer noch den wenigsten klar", kritisiert Manuela Kay, Chefredakteurin des Lesben-Magazins L-Mag. Im Gegensatz zu Schwulen seien Lesben bis heute für viele in der Gesellschaft immer noch die "unbekannten Wesen". Dass Frauen auf der Parade deutlich unterrepräsentiert sind, hat aber auch einen finanziellen Hintergrund: "Lesbenorganisationen, ob Verein oder kommerzielle Institutionen, sind weniger finanzkräftig und müssen deshalb mit Schwulen kooperieren", sagt Constanze Körner, Projektleiterin des Lesben- und Schwulenverbands Berlin.
Die Unsichtbarkeit von Lesben ist nicht nur Phänomen des CSD, sondern spiegelt sich auch im gesellschaftlichen Alltag wider. Anders als bei Schwulen gibt es neben der Talkmasterin Anne Will, der Schauspielerin Ulrike Folkerts oder Maren Kroymann kaum prominente Lesben. "Es fehlen Vorbilder, von denen junge Frauen sagen: So wie diese coole Lesbe will ich auch sein", beklagt Manulea Kay, aber: "Es gibt genügend lesbische Vorbilder, in der Politik wie im Fußball. Sie sollten sich gegenseitig ermutigen, sich endlich zu outen."
Dass Lesben auch im Arbeitsleben versteckter leben als Schwule, liege weniger in ihrer Homosexualität als in der zusätzlichen Diskriminierung als Frau begründet, glaubt Mercedes Rodriguez Garcia-Gutierrez von den Wirtschaftsweibern, einem Netzwerk lesbischer Fach- und Führungskräfte. "In der Arbeitswelt werden Frauen schlechter bezahlt und haben schon so viele Hürden, auf der Karriereleiter hochzuklettern, dass sie ihr Lesbischsein verschweigen", so Rodriguez. Konsequenz sei, sich nicht zu outen oder in die Selbstständigkeit zu gehen.
Umso mehr fällt auf der CSD-Parade seit 20 Jahren der Lesbische Freundinnenkreis auf. Mal mit dem "Mösenmobil", einer riesigen Styropor-Vagina, mit Slogans wie "Die schönsten Frauen kommen in Berlin" oder verkleidet als weibliche Pendants von Superman versuchen sie mit Witz und Provokation aufzufallen. "Wir wollen Lesben sichtbarer machen und zeigen, dass wir Sexualität leben", erklärt Sprecherin Christine Olderdissen. In diesem Jahr treten die aktiven Lesben anlässlich der WM als "Trillertussis" auf. Die queeren Schiedsrichterinnen kämpfen pfeifend gegen Homophobie im Fußball und zücken die Pinke Karte für alle: "Spielt endlich offen! Nicht nur im Fußball."
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