: Christopher Street Day
■ betr.: „Immer noch Angst?“, taz vom 1./2. 7. 95
Wie schön, daß die taz auf der Kommentarseite dem CSD einen langen Artikel widmet. Noch viel schöner wäre es gewesen, wenn dieser tatsächlich politische Konflikte analysiert hätte, wie das im allgemeinen auf dieser Seite der Fall ist.
Statt dessen bekommen wir eine paternalistische Polemik gegen alle Schwulen und wohl auch Lesben serviert, die unter Politik mehr verstehen als sexuelle Selbstverwirklichung und Beseitigung rechtlicher Diskriminierung.
Eine über liberale Integrationsvorstellungen hinaus gehende Zielsetzung wird banalisiert bzw. lächerlich gemacht. Solche Positionen werden diffamiert, indem Feddersen und Heinz den Eindruck erwecken, sie würden sowieso nur von Besserwissern und Spaßverderbern vertreten. „Was ist schon revolutionär an Transparenten des BVH in Heidelberg, wo ,Nieder mit dem Patriarchat‘ gefordert wurde? Eine Handvoll politisch korrekter Menschen, die hinter dieser Parole stecken, durfte sich hinterher beglückt auf die Schulter klopfen.“
Da in diesem Zusammenhang unter „politisch korrekt“ wohl anti-sexistisch zu verstehen ist, können wir über diese Minderheitenmeinung lächeln und selbstbewußt, wie wir sind, hoffen, daß die bösen Fummeltunten und vergrämten Feministinnen auch noch merken, daß „die Forderung nach der Homoehe emanzipatorischer ist, als jene nach der Befreiung von der Zwangsheterosexualität“.
Die beiden Herren liegen insofern voll im Trend der Zeit, als daß Kritik an strukturellen gesellschaftlichen Machtverhältnissen immer öfter als Nörgelei und Selbstgerechtigkeit abgetan wird, statt sich mit politischen Inhalten auseinanderzusetzen. Ihre Strategie ist es, Andersdenkende zu diskreditieren, indem nahegelegt wird, sie seien elitäre DogmatikerInnen. Suggeriert wird mit Hilfe von Begriffen wie „gesinnungspolizeiliche Ermahnungen“ und „Zuchtmeister“ die undemokratische Haltung dieser „Sauertöpfe“.
Bekannterweise gibt es weniger Lesben als Schwule unter den BefürworterInnen der Homo-Ehe. Das hat nicht unbedingt damit zu tun, daß wir uns so gerne als Opfer sehen und gerne an der Realität leiden, was wir aus dem Artikel schlußfolgern könnten ... Wenn die taz schon Traktate gegen „autonome Homophile“ usw. und Plädoyers für die Homo-Ehe veröffentlicht, dann würde ich gerne auch mal auf der Kommentarseite lesen, warum Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen (Art. 6 Grundgesetz) und was dieser Sachverhalt mit den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu tun hat. Nur so, von wegen Pluralismus ... Katja Scheel, Berlin
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