■ Christoph Biermann: In Fußballand
Wer häufig Fußballspiele besucht und ansonsten seine Lebenszeit vor dem Fernseher verschleudert, um auch dort Berufsfußballern bei der Arbeit zuzuschauen, weiß bald um die Eigenheiten der Seinen. Man würde Michael Zeyer auch noch an seinen Tippelschritten erkennen, wenn er sich ein Trikot ohne Rückennummer und eine Helmut-Kohl-Maske überstreifen würde. Die Läufe eines Yves Eigenrauch sind einem so geläufig wie früher Mutters Tritte auf der Treppe. Und bereits nach fünf Spielminuten weiß man, ob Peter Peschel heute etwas zustande bringt oder im Nirvana ewiger Talentschaft verschwindet. Kurzum: Man kennt seine Pappenheimer. Was auch der Grund dafür ist, daß ich Stefan Emmerling hasse.
Natürlich nicht als Mensch. Bislang ist schließlich noch keine Information an mein Ohr gedrungen, die mich daran zweifeln lassen müßte, daß es sich bei Stefan Emmerling um einen höchst liebenswürdigen Menschen handelt, der, so er welche hat, gut zu Frau, Kindern und Haustieren ist. Mit seinen Eltern wird er sich auch gut verstehen, sollten sie ihm verziehen haben, daß er einen Kurzhaarschnitt hat, als wolle er bei der nächsten Love Parade auf einem besonders angesagten Wagen trancige Grooves auflegen (oder wie immer das gerade heißt). Außerdem gehe ich auch gerne davon aus, daß der Libero als astreiner Kollege gilt in der Mannschaft des MSV Duisburg, die heute im belgischen Genk versucht, im Europapokal der Pokalsieger trotz des 1:1 im Hinspiel die 2. Runde zu erreichen (ARD, 20.30 Uhr).
Trotzdem hasse ich Stefan Emmerling. Nein, man kann ihm nicht vorwerfen, daß er böse Dinge anstellt. Etwa besonders hinterhältig spielt, ständig reklamiert oder andere für sich rennen ließe. So was würde Stefan Emmerling nie tun. Spiel um Spiel flitzt er aufmerksam über den Rasen, ordnet die Abwehr (nun gut, nicht immer sehr geschickt) und jagt höchstselbst dem Gegner die Bälle ab. Dann aber hat er sie, und das Grauen nimmt seinen Lauf.
Inzwischen habe ich mir bei Besuchen im Wedaustadion angewöhnt, auf meinem Notizzettel festzuhalten, wann Stefan Emmerling es zum ersten Mal macht. Manchmal kann er sich bis weit in die zweite Halbzeit zurückhalten, gelegentlich fängt er schon nach einer halben Stunde damit an und neulich bereits nach 18 Minuten. Da führte also der MSV Duisburg in Person von Stefan Emmerling den Ball. Gemächlich lief er in den Anstoßkreis, schaute nach rechts und schaute nach links. Erwartungsfroh blickten seine Mannschaftskameraden zurück, aber man konnte bis auf die Ränge hinauf das Verlangen in Stefan Emmerling spüren, es wieder zu tun. Vielleicht kann er nicht anders, vielleicht ist er in diesem Moment nicht mehr Herr seiner selbst. Jedenfalls guckte er nur noch in die andere Hälfte, wohin sich der Gegner zurückgezogen hatte. Er schaute noch einmal. Der Entschluß war gefaßt: Jetzt mach' ich's! Und dann machte er es. Es war furchtbar!
Hoch und weit flog der Ball – getreten, gepöhlt, gedroschen – durch die Luft. Die Duisburger Angreifer sprangen hoch und noch mehr gegnerische Verteidiger. Tja, und das war's dann schon. Prompt war der Ball verloren und der schöne Angriff mal wieder vorbei. So ist das immer, immer, immer! Einmal, zweimal, tausendmal juchzt Stefan Emmerling die Bälle nach vorne, der Gegner staunt und haut sie weg. Früher gab es wenigstens noch den starken Bachirou Salou, der manchmal irgendwas damit machen konnte. Aber der freundliche Stürmer aus Togo spielt nun in Dortmund, weshalb auch diese letzte Hoffnung dahin ist.
Nicht, daß es mir am Ende nicht schnurzegal wäre, was der MSV Duisburg mit seinen Angriffen macht, aber so kann es einfach nicht weitergehen. Es muß jemand mit Emmerling sprechen, so wie man Leuten sagt, daß ihre Hose offen steht oder sie noch Essensreste im Mundwinkel haben. Nur wenn wir miteinander reden, wird die Welt besser, und ich kann auf meinem Notizzettel die Rubrik „sinnlose Weit-hoch-Bälle von E.“ ersatzlos streichen.
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