Christoph Biermann: In Fußballand
■ Boney M, Ramelow, schwule Fotzen und die Berliner Sexpolitik im Stadion
Als neulich Hertha BSC in Leverkusen spielte, wurde die Mannschaft aus Berlin von einer stattlichen Zahl von Anhängern begleitet, die sich beachtliche Mühe gaben, alle über sie bestehenden Vorurteile zu bestätigen. Schließlich geht man gemeinhin davon aus, daß es im neuen Deutschland keine gruseligere Fan-Klientel gibt als die von Hertha. Das sind gepflegte Traditionen, seit in den 70er Jahren die Züge brannten, wenn Berliner Frösche in den Westen fuhren.
Ich kann mich noch gut an einen Freitag abend vor einigen Jahren erinnern, als Hertha-Fans nach einem Zweitligaspiel im Ruhrgebiet zu ihrem Bus trotteten. Die Fußtruppen der Apokalypse, wie aus einem überbesetzten Fernsehspiel über Problemjugendliche. Der leptosome Nazi-Glatzkopf mit unreiner Haut neben dem schmerbäuchigem Rocker, der zerzauste Schultheiß-Proll mit Popelbremse und der hibbelige Turnschuh-Hooligan, es gab sie alle. Kein vernünftiger Mensch, nirgends.
Inzwischen ist Fußball in Berlin am Ufa-Tropf zu einer großen Sache aufgepäppelt worden, weshalb solcherlei Gestalten im Olympiastadion etwas untergehen. Erst auf den Auswärtsfahrten kommen die echten Fans vom alten Schlag wieder zusammen, wie in Leverkusen etwa. Dort trugen sie eine Beleidigung vor, die mir noch Tage später im Kopf herumspukte. Dabei bin ich durchaus nicht leicht aus der Fassung zu bringen, seit ich in den 70er Jahren in Kurven gestanden habe, wo lauthals als Coverversion von Boney Ms „Belfast“ gesungen wurde: „Gib Gas, gib Gas, wenn Hitler mit den Schalkern in die Gaskammer rast.“ Und das „Haut den Bochumern die Schädeldecke ein!“ durchaus im Wortsinne zu verstehen war. Insofern blieben die Berliner Fans an jenem Nachmittag in Leverkusen durchaus hinter schon gesetzten Standards der Dumpfheit und Aggression zurück. Oder doch nicht. Ihre Beschimpfung des Leverkuseners Carsten Ramelow, der vor Jahren bei Hertha BSC gespielt hatte, fiel für heutige Zeiten eigentümlich drastisch aus. „Ramelow, du Fotze!“ riefen also die mehr als tausend Hertha-Fans, dehnten dabei die letzte Silbe des Namens, streckten am Ende, gleichsam als Ausrufezeichen, die Arme in die Luft und riefen noch einmal, „Ramelow, du Fotze!“ Das gefiel ihnen, weshalb sie ihren lautesten Schlachtruf immer wiederholten und damit die kleine BayArena akustisch auszufüllen schienen. Nun sind Fußballstadien gewöhnlich nicht die Orte, an denen weibliche Geschlechtsteile mit besonders großer Zärtlichkeit benannt werden. Allerdings hat sich in den letzten Jahren einerseits die rauhe Männerwelt selbst auf den Stehterrassen etwas zivilisiert und gehörte andererseits die Beleidigung eines Mannes als Schlampe selbst in wilderen Zeiten nicht zum Inventar der Beschimpfungen. Was wollten die Hertha-Fans also damit sagen, und warum hatten sie so ein Vergnügen dabei? Hatten sie nur einen neuen Dreh gefunden, einen Mann als Mann herabzuwürdigen? Schließlich riefen sie ergänzend immer mal wieder: „Schwuler, schwuler Ramelow.“ Und was hatte diese Sexpolitik mit dem dritten Standbein ihrer Ramelow-Verhöhnung zu tun? Entschlossen wurde dem Angeklagten nämlich der Ariernachweis entzogen: „Wir sind Berliner und du nicht.“. Womit es die Berliner sogar irgendwie schafften, der beliebten Beschwerde frustrierter Fans über am Schicksal ihrer Klubs desinteressierte Profis einen rassistischen Dreh zu geben. Dazu paßte auch prima die gute alte Durchhalteparole „Berlin, Berlin, eisern Berlin“, die noch nach Reichssportfeld, ummauerter Debilität und Berlinzulage mieft. So fügte sich die Dreifaltigkeit aus Frauenfeindlichkeit, Schwulenfeindlichkeit und Rassimus zusammen, und vielleicht gibt es kein Geheimnis dahinter, als daß diese drei Dinge eben zusammengehören. In Herthas Fankurve auf jeden Fall, so daß man vergnügt zurücksingt: „Ihr seid Berliner und ich nicht.“
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