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■ Christo, der Dentist und das StandesrechtVerhüllte Wartezimmer GmbH

Mein Zahnarzt ist ein Kunsthandwerker, er macht seine Arbeit sehr gut und sehr gründlich. Außerdem erklärt er mir alles, was ich wissen will, ganz ausführlich und didaktisch. Das kommt wohl daher, daß er auch Berufsschulunterricht erteilt.

Jetzt habe ich gelernt, daß mein Zahnarzt auch Künstler ist. So etwa im Beuysschen Sinne („Jeder ist ...“).

Neulich nämlich im Wartezimmer kam mir alles etwas komisch vor. Das Sofa war mit Nylon verpackt und verschnürt, die Stühle waren mit Nylon verpackt und verschnürt und die Lampen und Bilder waren auch mit Nylon verpackt und verschnürt. Nur der Tisch und das Schaukelpferdchen waren unverhüllt. Zugegeben, zuerst dachte ich, hier wird ein Umzug vorbereitet. Man denkt ja nicht (mehr) täglich an Beuys.

Aber dann entdeckte ich an einer Pinwand mehrere Presseerklärungen der „Verhüllter Reichstag GmbH“ aus der Hauptstadt. Das war offensichtlich als eine Erläuterung für kunstferne Gesellschaftsschichten gedacht, wozu ich mich vermutlich auch rechnen lassen muß.

Spontan überlegte ich: „Besser du kaufst in den nächsten Wochen das Morremühle-Müsli auf Vorrat ein, bevor auch noch deine Lebensmittelhändlerin beginnt, ihre Regale zu verhüllen.“ Aber das war wohl etwas übertrieben. Auch nach einer Woche ist bei Edeka am Dorfbach das Christo-Fieber immer noch nicht ausgebrochen. Wahrscheinlich ist meine Lebensmittelhändlerin keine Künstlerin. Oder irgendwie anders.

Aber eigentlich wollte ich ja über meinen Zahnarzt schreiben. Dessen Namen ich hier keinesfalls nennen darf und dessen Bild völlig ungedruckt bleiben muß. Denn das gäbe Ärger mit dem Standesrecht, sagte er. Kunst beim Zahnarzt sei nämlich ein beliebter Trick, um das Werbeverbot für Ärzte zu umgehen. „Das finde ich kleinlich“, erwiderte ich großherzig. Worauf er mir von dem Kollegen erzählte, der einen beleuchteten Plexiglaszahn im Garten aufgestellt hatte. Eine Strafe habe der Kollege bekommen, und den Leuchtzahn mußte er abkneifen und entfernen (dazu ist er ja auch ausgebildet). Ein Anruf bei der Bezirkszahnärztekammer bestätigt das alles. Mein Zahnarzt kennt sich also tatsächlich auch im Standesrecht gut aus. Er hat nur vergessen, mir schriftlich (!) mitzuteilen, daß ich seinen Namen und seine Anschrift auf keinen Fall veröffentlichen darf, meinte der Geschäftsführer der Zahnärztekammer. „Wissen Sie, da gibt es ein neues Urteil ...“ Ah ja, was es nicht alles gibt.

Als ich gestern erneut bei meinem Zahnarzt war, fielen mir wieder Tisch und Schaukelpferdchen ins Auge – beide unverhüllt, wie die SchreinerIn sie geschaffen hat. Was will mir mein Zahnarzt damit sagen? „Tja“, er blickte etwas verlegen, „beim Tisch ist uns einfach der Stoff ausgegangen, den uns eine örtliche Firma gespendet hat.“ Und das Schaukelpferdchen? „Das wollten wir wegen der Kinder unverhüllt lassen. Wir hatten Angst, die Kleinen fangen an zu weinen, weil sie denken, das Pferdchen sei krank.“ Von den erwachsenen PatientInnen hat bisher auch noch niemand geweint, freute sich mein Zahnarzt. Manche hätten zwar mit Unverständnis reagiert, aber alle würden sich mit der Nylon-Installation beschäftigen. Und das sei ja auch ganz gut, denn so kämen die PatientInnen auf andere Gedanken und wären nicht so nervös vorm Bohren, Schleifen oder Überkronen.

Ganz schön clever, mein Zahnarzt. Auch wenn er abstritt, daß er sich das alles vorher überlegt hat. Als Künstler macht man eben instinktiv das Richtige. Christian Rath

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