: Christen gemeinsam gegen asylfeindliche Politik
■ Kirchenasylinitiativen beschließen bundesweite Vernetzung / „Rücksichtslose Abschiebungen“ kritisiert / Amtskirchen skeptisch bis ablehnend
Mülheim an der Ruhr (taz) – Das Netz kirchlicher Asylinitiativen wird engmaschiger. Am Wochenende trafen sich rund 150 Delegierte evangelischer und katholischer Kirchengemeinden sowie MitarbeiterInnen aus der Flüchtlingsberatung aus allen Teilen der Bundesrepublik in Mülheim an der Ruhr und beschlossen die Einrichtung eines Koordinationsrats Kirchenasyl auf Bundesebene. Er soll die in einigen Bundesländern schon bestehenden Asylnetzwerke miteinander verbinden und eine erste gemeinsame Aktion gegen die Abschiebung von Angolanern und Kurden vorbereiten. Derzeit gibt es bundesweit rund 200 Kirchengemeinden, die bereit sind, abgewiesenen Asylbewerbern Zuflucht zu gewähren.
„Noch nie ist so rücksichtslos und massenhaft abgeschoben worden wie heute“, sagte Tagungsleiter Wolf-Dieter Just von der Evangelischen Akademie Mülheim/ Ruhr. „Aber die Kräfte gegen die asylfeindliche Politik in diesem Land wachsen.“ Die Unmenschlichkeit der seit der Novellierung des Asylverfahrensgesetzes herrschenden Praxis dokumentiere sich schon jetzt in Fällen wie dem eines abgeschobenen Asylbewerbers aus dem Sudan. Der junge Mann habe sich Weihnachten in Herne in Abschiebehaft erhängt, weil sein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden sei und er gewußt habe, daß er nach seiner Landung im Sudan dem tödlichen Zugriff des Militärregimes unmöglich entkommen würde.
Netzwerke von Kirchengemeinden und Initiativen, die abgeschobene Asylbewerber aufnehmen, existieren bereits in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Am weitesten entwickelt ist der Berliner „Arbeitskreis Asyl in der Kirche“. Seit 1985 gibt es eine kirchliche Beratungsstelle für Flüchtlinge. In Nordrhein-Westfalen verbanden sich im Herbst 1993 mehr als 30 Kirchengemeinden zu einem „Ökumenischen Netzwerk Kirchenasyl“, dem auch nichtkirchliche Flüchtlings- und Asylinitiativen beitreten können. Der „Arbeitskreis Asyl“ in Baden- Württemberg ist ein Zusammenschluß von 400 – kirchlichen und nichtkirchlichen – Flüchtlingsinitiativen und Einzelpersonen.
Weitgehend einig waren sich die Teilnehmer der Tagung, daß die Gewährung von Kirchenasyl einen Rechtsbruch darstelle. Über dem bundesdeutschen Asylverfahrensgesetz stünden aber die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechte. Für den einzelnen Gläubigen in Gewissensnot gelte ohnehin das Paulus-Wort „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Vor diesem Hintergrund sei Kirchenasyl als letztes Mittel – wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind – zu rechtfertigen. Der Begriff Kirchenasyl stammt aus frühchristlicher Zeit, als Kirchen verfolgten Menschen Schutz gewährten. Im Römischen Reich und das ganze Mittelalter hindurch war Asyl in Gotteshäusern eine anerkannte Institution. In der Bundesrepublik gibt es dagegen kein verbrieftes Recht auf Kirchenasyl. Formalrechtlich können abgewiesene Asylbewerber aus Kirchenräumen herausgeholt werden. Kirchenasylinitiativen bauen aber auf die Scheu auf seiten der Behörden, dort auch tatsächlich einzudringen. Aus den vergangenen acht Jahren sind rund 2.000 Fälle von Kirchenasyl bekanntgeworden. Bisher wurde erst an vier Orten Kirchenasyl gewaltsam beendet.
Während der Nürnberger Pastoralreferent Rainer Krockauer die Vision einer „Kirche als Asylbewegung“ entwarf, sind die Positionen der Amtskirchen in der Frage des Kirchenasyls allerdings weniger eindeutig. Die katholische Bischofskonferenz hat dazu noch keine offizielle Stellungnahme abgegeben; in den einzelnen Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) reichen die Positionen von klarer Ablehnung bis zu vorsichtiger Respektierung des Kirchenasyls.
Die Teilnehmer der Tagung wollen dennoch einen Brief an den Rat der EKD und die katholische Bischofskonferenz richten, worin sie um Unterstützung für die Arbeit der Kirchenasylinitiativen bitten. Markus Dufner
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