■ Christa Wolf verläßt beide Berliner Akademien der Künste: Sich selbst im Weg
Aus dem kalifornischen Santa Monica hat Christa Wolf mitgeteilt, sie trete aus beiden Berliner Akademien der Künste aus. Sie wolle, so schrieb sie dem West-Akademiepräsidenten Walter Jens, „im Zusammenhang der Vereinigung der Akademien keine Belastung sein“. Zumindest hinsichtlich dieser Befürchtung bräuchte sich Christa Wolf keine Sorgen zu machen. Die Westberliner Akademie hat sich mit ihrem „Huckepack“-Verfahren der Vereinigung selbst eine so drückende Last aufgeladen, daß Christa Wolfs künftige Mitgliedschaft für sie selbst belastender wäre als für das Gremium, das sie jetzt verläßt.
Dennoch ist ihr Entschluß falsch. Christa Wolf wird die öffentliche Debatte um ihre Stasi-Kontakte in den späten fünfziger Jahren nicht „für sich beenden“ können. Gerade diejenigen, für die ihre schriftstellerische Existenz und ihr Wirken als moralische Person in der DDR zusammengehörten, werden einen solchen Rückzug nicht hinnehmen.
Paradox oder, um es mit Christoph Hein zu sagen, komisch an der durch den Rücktritt geschaffenen Situation ist, daß Christa Wolf einen Fortgang der Debatte weder künstlerisch noch moralisch, noch politisch zu fürchten hätte. Ihre Gespräche mit den Stasi- Beauftragten, soweit sie in Zitaten vorliegen, enthalten nichts Denunziatorisches, dafür aber eine ganze Portion dieses fürsorglichen Gehabes, mit dem damals in der DDR Kollegen traktiert wurden, die noch nicht „soweit waren“, denen es noch an „Bewußtheit“ mangelte. Als es ernst wurde, auf dem Kulturplenum des ZK der SED 1965, stand Christa Wolf auf der richtigen Seite, der der Gemaßregelten.
Daß die Dichterin in fataler Weise der DDR- Machtelite zur antifaschistischen Legitimation verhalf, daß sie mit der Obrigkeit nicht brach, die demokratische Opposition nicht unterstützte, das alles wiegt schwer, kann aber nicht mit den drei Jahren ihrer Stasi-Verbindung in Zusammenhang gebracht werden. So etwas zu behaupten bleibt Dummköpfen wie den Spiegel-Rechercheuren vorbehalten, deren Ignoranz gegenüber der DDR-Wirklichkeit nur noch von ihrem Unvermögen übertroffen wird, sich in eine junge Kommunistin der fünfziger Jahre hineinzuversetzen, die, von Schuldgefühlen gequält, um die Anerkennung durch die „alten Genossen“ ringt.
All dies könnte Christa Wolf erklären, tut es aber nicht. Sie ist gekränkt, beleidigt, sieht sich in einer Reihe mit den Verfolgten des Naziregimes, die in den dreißiger Jahren in Santa Monica Zuflucht fanden. Sie selbst und ihre ideologischen Lebenslügen sind es, die sie daran hindern, sich denen zu stellen, die sie hassen und die sie lieben. Christian Semler
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