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Christa Pfafferott Zwischen MenschenWo der G20-Gipfel immer noch weitergeht

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Machtverhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

G20 ist vorbei. G20 ist nicht vorbei. G20 geht heute im Strafjustizgebäude weiter. Am Sievekingplatz hängt die Fahne hoch. „Still loving Krawalltourists“ steht darauf. Eine ironische Anspielung darauf, wie G20-Demonstranten genannt wurden, die angeblich nur für Randale angereist seien. Heute weht die Flagge für Peike, 22 Jahre alt, aus Amsterdam. Übermorgen hat er Geburtstag, gleich steht er vor Gericht.

Das Bündnis „United we stand“ hat vor dem Gerichtsgebäude Tische aufgebaut. Es gibt Kaffee, Tee, Brötchen und Musik. Sie wollen Solidarität zeigen für diejenigen, die nach G20 in Haft oder in laufenden Verfahren sind: „Gerade jetzt, wo es kalt wird. In den Verhandlungspausen können sie sich hier aufwärmen“, sagt eins der Mitglieder. Ein Jahr und sechs Tage hat Peike in Untersuchungshaft gesessen. Zwei Jahre und sieben Monate lautete das Urteil in erster Instanz. Im Juli 2018 wurde der Haftbefehl ausgesetzt, er kam aus der Untersuchungshaft frei. Jetzt gehen die Verhandlungen weiter. Ihm wird vorgeworfen, er habe zwei Flaschen auf Polizisten geworfen. Die Verteidigung kämpft für seinen Freispruch.

Das Gerichtsgebäude ist nur ein paar Hundert Meter von den Messehallen entfernt, wo im Sommer vor einem Jahr das Gipfeltreffen stattfand. Heute hat sich der Gipfel auf stille Weise ein paar Hundert Meter weiterbewegt. Ins Gericht. Wären das Banner und die Musik nicht da, würde G20 hier nicht mehr auffallen.

Auf dem Bürgersteig vor den Tischen stoppt ein Fahrer seine Touristen-Rikscha – hinter ihm, in einer Decke, sitzt eine Dame. Der Fahrer liest das Banner am Gericht: „Ich bin damals auch verhaftet worden“, sagt er und grinst. Dann fährt er schnell weiter, als wollte er sich gar nicht erst länger am Gericht aufhalten.

Drinnen geht es nun los. Peikes Verhandlung ist öffentlich. Wer daran teilnimmt, muss an der Sicherheitsschleuse am Eingang sein Handy zurücklassen. Innen sind dunkle Flure mit vielen Türen, es ist leicht, sich zu verirren, den Raum zu übersehen: Saal 160. Ein kleiner Raum, der durch die Ordnung der Macht zerschnitten wird: An Pulten sitzen Richterin, Staatsanwalt, Verteidiger in Roben, davor Peike und eine Dolmetscherin. Dahinter sind die Zuhörerbänke.

G20 war groß und laut. Juli-Tage, in denen Hubschrauber kreisten und alle Seiten aufgeregt waren. Jetzt ist es ruhig geworden. Doch wenn etwas aufhört, endet es nie ganz. G20 hat Spuren hinterlassen, in der Stadt, in den Köpfen und in manchen Lebensläufen. Das begleiten jetzt die, die es wirklich ernst meinen. Hinter Peike auf den Holzbänken sitzt eine Handvoll Solidarisierte, Freunde. Eine Person schreibt eifrig mit.

Die Verteidigerin liest eine Gegendarstellung vor. 56 Seiten lang. Beklagt werden unergiebige Zeugenaussagen und polizeiliches Videomaterial, das die Verteidigung einsehen möchte, aber nicht kann. Die Nachwehen von G20 machen müde. Es geht um Details, um eine Wahrheit, die kleinteilig in der Vergangenheit zusammengesucht wird – und um die Zukunft eines jungen Menschen.

Der Gipfel hat sich auf stille Weise ein paar Hundert Meter weiterbewegt. Ins Gericht

In dem Raum sind Doppelfenster, die Luft ist stickig, an der Decke sind Neonröhren. Während die Verteidigerin liest, übersetzt die Dolmetscherin den Text leise parallel ins Niederländische für Peike. Ein polyphoner Klang entsteht im Raum, wie ein Symbol dafür, dass sich Wirklichkeit aus vielen Stimmen zusammensetzt. Als die Verteidigerin endet, warten die Vorsitzenden noch, bis die Dolmetscherin fertig übersetzt hat. Minuten vergehen, in denen im Raum nur noch Niederländisch zu hören ist. Ein zeitlicher Anhang für Peike, in dem die meisten zuhören, aber nichts verstehen, und man gerade deswegen neu begreift, dass er in einem Land verhaftet wurde und in Haft saß, das nicht sein Zuhause ist. Als die Dolmetscherin endet, kündigt die Richterin eine Pause an, Anfang Dezember soll es weitergehen.

Draußen sind die Tische und die Musik immer noch da. Es ist der zweite Winter nach G20. Die Menschen, die sich darum kümmern, sind weniger geworden, aber es gibt sie noch. G20 geht weiter. In den Gerichten. Und auf der Straße.

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