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Christa Pfafferott Zwischen MenschenDie wahre Wand verläuft zwischen Arm und Reich

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Machtverhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Es gibt keine Mauer mehr in Deutschland, aber immer noch eine unsichtbare Wand. Und ich frage mich, ob ich die Wand auch bei der Frau spüren werde. Wir sind als Letzte aus dem Bus gestiegen und laufen zu einem alten Bahnhofsgebäude. „Der Anschluss-Zug kommt ja erst in einer Stunde“, sagt sie. Ich stöhne auf. „Doch, da sind Fahrpläne, kannste schauen. Ich gehe jetzt solang in die Stadt einen Salat essen.“

„Halt“, rufe ich innerlich und sage schnell: „Ich gehe auch in die Richtung.“ Die Frau lacht. Von ihr geht ein Strahlen aus wie bei Menschen, die sich gerade beim Sport ausgelebt haben oder denen etwas sehr Schönes passiert ist.

Wir laufen eine leere Bahnhofsstraße entlang. Sie erzählt, sie komme gerade von einem Lach-Yoga Seminar. „Am Anfang fand ich es albern, aber es funktioniert wirklich“, sagt sie. „Einfach lachen ohne Grund und zum Schluss kann man gar nicht mehr damit aufhören. Drei Euro kostet es einmal im Monat, plus Fahrtkosten. Das gönne ich mir.“ Sie hat schwarze Haare und warme Augen. Auf Anfang 50 schätze ich sie. Als wir ein Lokal erreichen, reden wir nicht mehr darüber, ob wir zusammen essen, sondern nur noch, ob wir es hier tun.

Durchreisenden ist es nicht so wichtig, ob sie gemocht werden. Doch wer ankommen will, möchte nicht fremd bleiben. Und seit ich länger für ein Projekt in Thüringen unterwegs bin, spüre ich das „Hier“ und das „Drüben“, die unsichtbare Wand. Für viele im Westen ist der Osten Deutschlands immer noch ein anderes Land. Und im Osten sagen manche noch „Drüben“ für den Westen. Als müsste man etwas überqueren, einen Fluss, eine Barrikade. Die Mauer ist in den Köpfen geblieben, in den Herzen und in der Sprache. Eine vernarbte Wunde, die immer wieder aufplatzt.

Ich erzähle der Frau, dass ich in Hamburg wohne und warte, ob mein „von Drüben“ etwas bewirkt. Sie strahlt. „Ich habe in einer Kleinstadt bei Bremen gewohnt. Sieben Jahre. Das waren meine sieben Jahre“, sagt sie fest, als wüsste sie, dass einem die Zeit nicht immer gehört. Danach machte das Leben eher etwas mit ihr: Da trennte sie sich von ihrem Mann und fand allein keine Arbeit, weil die Betreuung mit den Kindern nicht klappte: „Die ging nur bis mittags. Und erzähl das einem mal, wenn du Arbeit suchst. In der DDR war das besser geregelt. Wir haben die Kinder früh weggegeben. Die Gemeinschaft hat sie erzogen, zusammen.“

Sie ist dann für eine Stelle zurück in den Osten gegangen. „Aber wenn die Jüngste groß ist, ziehe ich vielleicht wieder in den Norden“, sagt sie vorsichtig, als wollte sie sich nicht belasten mit einem Traum. „Die kleinen Inseln dort haben mir so gefallen.“

Ich frage sie nach der unsichtbaren Wand, die ich bemerkt habe: „Ihr seid so selbstbewusst im Westen“, sagt sie dann. Selbstbewusster als wir. Wir gehen schon ein bisschen so geduckt, als würde uns einer runterpressen. Das ist noch von früher“, sagt sie. „Nach der Wende musste man sich erst mal umstellen. Viele haben ihre Arbeit verloren. Sie kamen sich so vor, als würden sie vergessen werden“, sagt sie.

Sie sieht nicht vorwurfsvoll aus. Sie lacht lieber ohne Grund beim Yoga als zu beklagen, dass sie nichts zu Lachen hat. Doch unter ihrem Strahlen bemerke ich jetzt auch Schmerz. „Es fängt immer mit den Bedürfnissen an. Wenn die Menschen das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden. Dann nimmst du die nicht mit. Dann fangen sie an, die anzuschauen, die Beachtung bekommen.“

„Das waren meine Jahre“, sagt sie, als wüsste sie, dass einem die Zeit nicht immer gehört

Ich denke an die Jahre, die nicht ihre waren. Allein mit den Kindern, ohne Job. Und dass die größte Wand in diesem Land nicht zwischen West und Ost, sondern zwischen Arm und Reich verläuft. Eine Wand, die Mauern bildet. Die zwischen vieler Einigung steht.

Dann sind unsere Teller leer. Wir gehen zurück zum Bahnhof. Im Zug setzt sie sich entgegen der Fahrtrichtung. „Ich mag das“, sagt sie und lacht wieder. „Rückwärts kann ich ja viel länger sehen, was war, bevor es verschwindet. In Fahrtrichtung sehe ich nur kurz, was kommt. Dann ist es schon wieder vorbei.“ Ich werde still, weil das Bild so stark ist. Dass manche Menschen in ihrem Leben lieber länger in die Vergangenheit sehen als kurz in die Zukunft.

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