Chorfest im Radialsystem: Vertrauensbildende Maßnahme
Singen macht Spaß und sorgt für Glücksgefühle. Bei Chor@Berlin, dem Vokalfest nächste Woche im Radialsystem, gibt man dabei auch dem gemeinschaftlichen Singen Raum.
Dass Singen wirklich etwas ganz Besonderes ist, das haben – hoffentlich – alle schon einmal erfahren: wenn sie als kleines Kind in den Schlaf gesungen wurden. Dabei hat sich in Untersuchungen gezeigt, dass Babys deutlich entspannter reagieren, wenn sie etwas vorgesungen bekommen und nicht nur mit ihnen geredet wird.
Das Singen, eine vertrauensbildende Maßnahme. Und natürlich ist es schon in dieser Konstellation irgendwie die klassische Konzertsituation. Die einen haben ihren Auftritt, die anderen hören zu – und schlummern dabei manchmal sogar ein.
An diesen starren Konventionen aber scheint man sich doch zunehmend zu stoßen und stattdessen nach einer Partizipation zu suchen. Nicht mehr nur zuhören. Selbermachen. Von einer neuen Lust am Singen ist da seit einigen Jahren die Rede, ein Singen in der Gemeinschaft – eben im Chor.
Beim Blick in die Statistik muss allerdings gesagt sein, dass diese „neue Lust“ dabei kaum bestätigt wird. Eher im Gegenteil. Aktuell spricht man beim Deutschen Chorverband von etwa 1 Million Mitgliedern bundesweit und 15.500 Chören. Zu beachten ist dabei, dass das Singen im kirchlichen Bereich nicht im Chorverband organisiert ist und natürlich auch nicht die freie Szene. Trotzdem: Da waren mal viel mehr. So soll der 2005 im Deutschen Chorverband aufgegangene Deutsche Sängerbund einst 1,8 Millionen Mitglieder in nahezu 22.000 Chören vereinigt haben.
Zwischen den Zahlen ist damit auch von einem gesellschaftlichen Wandel zu lesen. Dass man zum Beispiel nicht mehr unbedingt auf eine Ehrennadel für soundso viel Jahre Vereinstreue warten will. Dass man solche Vereinsstrukturen überhaupt eher skeptisch betrachtet und auch beim Singen lieber spontaner zur Sache geht. Nicole Eisinger, Pressesprecherin des Chorverbands, verweist dabei etwa auf das erfolgreiche Weihnachtssingen von Union Berlin in der Alten Försterei oder den Zulauf bei neuen Formaten wie „Sing Dela Sing“, wo man sich zwanglos etwa in Clärchens Ballhaus oder im Heimathafen Neukölln trifft: „Da wird völlig unbefangen miteinander gesungen“, so Eisinger.
Wie sich das anhört, kann man nächste Woche bei Chor@Berlin erleben, dem Vokalfest im Radialsystem, zu dem der Deutsche Chorverband mittlerweile zum achten Mal einlädt. Ein Schaufenster für Chormusik soll es sein, bei dem auch experimentellere Ansätze ausgestellt werden. Auf dem Programm stehen neben Konzerten und Workshops eben auch Mitsingaktionen.
Zuhören Bei der achten Runde von Chor@Berlin, dem Vokalfest im Radialsystem in der Holzmarktstraße 33, kann man vom 22. bis 25. Februar Pop oder Jazziges genauso hören wie Klassisches, etwa von Brahms. Im Eröffnungskonzert am Donnerstag präsentieren sich die Berliner A-cappella-Virtuosen von Onair und das slowenische „Vokalorchester“ Perpetuum Jazzile. Programm: choratberlin.de
Mitsingen Das Selbermachen steht bei Chor@Berlin zum Abschluss am Sonntag, 25. Februar, auf dem Programm: Um 11 Uhr kann man sich beim Ich-kann-nicht-singen-Chor einfinden, um 20 Uhr heißt es im Radialsystem bei Sing Dela Sing "alle singen all night long". (tm)
Ein fester Eckpunkt ist dabei der „Ich-kann-nicht-singen-Chor“, der unter der Leitung von Michael Betzner-Brandt 2011 im Rahmen des Vokalfests ins Leben gerufen wurde. Das Prinzip ist einfach. Man kommt und singt. In diesem Jahr macht man das beim Vokalfest mit einem internationalen Liederprogramm, zusammen mit dem Begegnungschor, bei dem sich jede Woche Berliner und Geflüchtete singend treffen.
Eine Plattform hat bei Chor@Berlin 2018 auch Sing Dela Sing, das, wie es ganz programmatisch heißt, das „gemeinsame Singen nicht mehr den Kirchenchören, den Fußballfans und den Gesangsvereinen“ überlassen will. Man darf sich das als eine Art kollektives Karaoke vorstellen, wo eher „Space Oddity“ als „Großer Gott, wir loben dich“ gesungen wird. Organisiert wird der Singetreff von Cem Arnold Süzer und Gunter Papperitz, die damit bereits auch in Leipzig und Magdeburg gastierten.
Bei so einem recht zufällig zusammengewürfelten Chor kann es dann nicht mehr vornehmlich um eine saubere Intonation oder was sonst so im klassischen Chorgefüge gepflegt wird, gehen. Da geht es um den Spaß. Die Freude am gemeinschaftlichen Singen. Wenigstens zwischendurch will man sich eben mal emotional synchronisieren mit anderen und sich in einer Gruppe finden. Außerdem, das hat die Natur so in uns angelegt, stimuliert Musik auch das Belohnungszentrum im Hirn und löst so Glücksgefühle aus.
Das weiß man übrigens auch bei der taz, die, ziemlich einzig in der deutschen Zeitungslandschaft, auch einen Chor hat. Mit einem abwechslungsreichen Repertoire singt man sich da durch Zeiten, Genres und Sprachen. Das macht man allerdings, so viel sei verraten, nicht lustvoll trällernd bei der Arbeit. Tatsächlich singen im taz-Chor, einer Gruppe von etwa 30 taz-Freunden, derzeit lediglich zwei, die auch bei dieser Zeitung arbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!