Chinesischer Fußball: Knietief im Sumpf
Vor Saisonbeginn kämpft der chinesische Fußball wieder einmal gegen Korruption und Schieberei. Schiedsrichter sind in Haft. Die Partei greift durch, aber nur ein bisschen
Knietief im Sumpf
AUS PEKING MARCEL GRZANNA
Der Fußball wird gern als ein Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Es ist also wenig verwunderlich, dass die Chinese Super League (CSL) wieder einmal knietief im Korruptionssumpf steckt. Und wie oft in China, wenn die kriminellen Machenschaften in die Öffentlichkeit gezerrt werden, folgt eine große Säuberungsaktion, die den Anschein erweckt, dass künftig alles besser wird. Zwei Dutzend Funktionäre, Spieler und Trainer sitzen schon in Haft, gegen etliche weitere ermittelt die Staatssicherheit. Der Saisonstart ist deswegen um eine Woche auf Samstag verschoben worden.
Es entsteht der Eindruck, dass die von Staatschef Hu Jintao im Oktober letzten Jahres persönlich verordnete Offensive gegen Spielverschiebungen im Reich der Mitte mit aller Konsequenz verfolgt wird. Doch viele Chinesen wollen sich von dem plakativen Vorgehen nicht blenden lassen. Das Sportmagazin Titan fragt sich: "Wo sind die dicken Fische?" Über die Klinge gesprungen sind bislang nur die ausführenden Organe des organisierten Betrugs. Diejenigen, die im Hintergrund die Fäden ziehen und bei illegalen Fußballwetten ein Vermögen verdient haben, sind bislang unbehelligt geblieben.
Ein anonymer Brief an chinesische Zeitungen brachte Mitte Dezember den jüngsten Betrug ans Licht. Schiedsrichter, Verbandsobere und Profis wurden darin beschuldigt, diverse Spiele in der Liga verschoben zu haben. Die schlechten Nachrichten brachen zu einem Zeitpunk über den chinesischen Fußball hinein, als es aufwärts ging. Im vergangenen Jahr feierte die CSL ein Comeback. Die Liga verzeichnete im sechsten Jahr ihres Bestehens einen neuen Zuschauerrekord mit durchschnittlich 16.300 Besuchern pro Spiel. Ihre Werbeeinnahmen beliefen sich auf rund 17 Millionen Euro, nachdem das Staatsfernsehen den Ligafußball 2008 wegen zahlreicher Prügeleien auf dem Spielfeld für eine Weile von den Bildschirmen ausgeschlossen hatte.
Der neue Verbandschef, Wei Di, versicherte vor wenigen Tagen: "Selbst wenn die Saison kurz vor dem Anfang steht, werden wir gnadenlos aufräumen." Er schloss auch eine Absage der gesamten Saison nicht aus, sollten noch mehr Klubs ins Zwielicht geraten. Prominentester Verein ist der zweimalige CSL-Meister Shandong Luneng. Der Klub soll Schiedsrichter bestochen haben. Ihm drohen harte Strafen, weil er einem staatlichen Energiekonzern gehört und dem Ruf der regierenden Kommunistischen Partei mit der Affäre schaden könnte. Die Untersuchungen sind noch im Gange. Es könnte Shandong so ergehen wie den Erstligisten Guangzhou Pharmaceutical und den Chengdu Blades, die beide in die zweite Liga strafversetzt werden, weil sie Spiele verschoben haben. Schlimmstenfalls wird dem Exmeister sogar die Lizenz für alle Ligen entzogen, so wie es dem Zweitligisten Qingdao Hailifeng ergangen ist, der ebenfalls Spiele gekauft hat.
Verbandschef Wei muss auch den verloren gegangenen Glauben an die Integrität der Funktionäre wiederherstellen. Sein Vorgänger, Nan Yong, war im Januar verhaftet worden. Nan hatte es Ligaklubs gegen Bezahlung ermöglicht, ihren Spielern einen Platz bei Lehrgängen der Nationalmannschaft oder sogar Einsätze bei Länderspielen zu verschaffen. Als Anfang Februar neue Details über Nans Dreistigkeiten bekannt wurden, befahl die Partei dem landesweiten Sportsender CCTV 5, kurzfristig auf die geplante Liveübertragung des Länderspiels der Chinesen beim Erzrivalen Japan (0:0) zu verzichten.
Manche chinesische Medien halten Nan Yong nur für eine Marionette. Und das gleiche Schicksal attestieren sie seinem Nachfolger Wei, weil der Verband CFA dem Sportministerium unterstellt ist. Ein weiterer anonymer Brief an chinesische Medien vom vergangenen Montag hat die bevorstehende Verhaftung eines hohen Beamten des Sportministeriums angekündigt. Hat der die Marionetten gelenkt? Die jüngsten Verhaftungen traf in der vergangenen Woche allerdings die Gilde der Schiedsrichter. Drei vermeintlich Unparteiische sitzen wegen Bestechlichkeit in Haft. Darunter Lu Jun, der bei der WM 2002 Japan und Südkorea zwei Partien leitete. Zweimal hat Lu die Auszeichnung "Goldene Pfeife" als bester chinesischer Schiedsrichter gewonnen. Inzwischen ist er nicht mehr aktiv.
Spiele zu manipulieren funktioniert nach einer festen Preisliste, wenn man dem bekannten Fußballkommentator He Xinping glaubt. Die Bestechung eines Schiedsrichters beziffert er auf 100.000 Yuan, etwas mehr als 11.000 Euro.
Der Verband veranstaltete in der Vorwoche für 200 Schiedsrichter ein Antikorruptionsseminar in Peking, um die Zunft resistent zu machen gegen die Verlockungen der Wettmafia. Teurer ist es, laut Fachmann He, wenn man eine ganze Mannschaft für einen Spieltag kauft. 500.000 Yuan soll das kosten, umgerechnet gut 55.000 Euro. Wer ganz sichergehen will, muss aber wohl noch tiefer in die Tasche greifen. Die Zwangsabsteiger von Guangzhou Pharmaceutical haben 1,5 Millionen Yuan für ein Spiel gezahlt.
Manipulation endet in China jedoch nicht jenseits der ersten und zweiten Liga. Der Chef der Disziplinarkommission des Sportministeriums, Wu Qi, erklärte die Betrügereien kürzlich zum nationalen Problem. "Alle Auswahlmannschaften des Landes tragen diese Last mit sich herum, auch die Jugend und die Frauen", sagte Wu. Deswegen bleibt es fraglich, ob die Kampagne für einen sauberen chinesischen Fußball ein Rundumerfolg wird.
Der Klubchef von Shanghai Shenhua, Zhu Jin, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Selbst wenn du die linke Hand abschneidest, ist die rechte immer noch schmutzig."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht