■ China ist sich bei Menschenrechten mit dem Westen einig – im Prinzip: Mehr als Tyrannenhätschelei
Die EU wartet auf „konkrete Gesten“, die auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China schließen lassen. Andernfalls drohen die Europäer mit einem Resolutionsentwurf zur Verurteilung der Volksrepublik vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf Ende März. Das Tauziehen ist nicht neu, geht bei der Endabstimmung aber immer zugunsten Chinas aus. In diesem Jahr verspricht es besondere Spannug. Denn es geht um Dialog oder Funkstille zwischen dem EU-Ratsvorsitzenden Joschka Fischer und dem Pekinger Premierminister Zhu Rongji.
Der Wirtschaftszar lehnt die Debatte nicht ab. Eloquenter als je zuvor ein chinesischer Regierungschef versucht Zhu das Menschenrechtsthema mit dem Westen zu erörtern. Allerdings mit dem gleichen Ergebnis: „Konkrete Gesten“ im Sinne von Haftermäßigungen für politische Gefangene oder gar eine Zulassung demokratischer Parteien wird es nicht geben. An dieser Stelle sagen manche dann: Das Gespräch mit Peking ist sinnlose Tyrannenhätschelei. Der offizielle Menschenrechtsdialog diene nur zur Verschleierung der chinesischen Menschenrechtsverbrechen.
Richtig daran ist, daß die Pekinger Regierung ihre Gegner mit kriminellen Methoden verfolgt und kein Interesse an der Aufklärung dieser Verbrechen hat. Falsch ist jedoch die Annahme, daß die Erklärungen der kommunistischen Machthaber für die verübten Menschenrechtsverletzungen allesamt nur Tricks von Diktatoren sind, die zu jeder Missetat bereit sind. Zumindest Zhu kann man das nicht vorwerfen.
Um so bedenkenswerter sind seine Worte an den Westen: Er, Zhu, sei sich mit Europa und Amerika im Ziel einig. Doch China könne nach Jahrtausenden kaiserlicher Diktaturen, nach kolonialer Unterdrückung und einer verfehlten Kulturrevolution nicht binnen weniger Jahre den gleichen politischen Aufklärungsprozeß vollziehen, der im Westen eine viel längere Zeit in Anspruch nahm. Zhu glaubt offenbar, daß die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, ein gerade erst aus der ärmsten Armut entlassenes Bauernheer und eine von neuer Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitermasse, jede Parteiendemokratie binnen kurzen ad absurdum führen würden. Seine Denkweise entspricht einem Prinzip Machiavellis: Wer einem alten Staat eine freie Verfassung geben will, behalte wenigstens den Schatten der alten Formen bei.
Den Weg zu einer neuen chinesischen Verfassung beschreiben die für Zhu heute sichtbaren und überprüfbaren Bemühungen der KPCh, mit neuen Gesetzen und größerem Einfluß der Gerichte die langfristigen Grundlagen für eine Demokratie zu legen.
Man kann dem Wirtschaftszaren in allen Punkten mit der chinesischen Wirklichkeit widersprechen. Viele Chinesen sind heute reif für die Demokratie. Nicht der Rechtsstaat, sondern die korrupte Willkür der Partei löst bis heute die meisten Streitfälle. Doch die leicht vergessene Erkenntnis, daß der Umwandlungsprozeß, vor dem China heute steht, in Europa über zwei Jahrhunderte hinweg mit Weltkriegen und blutigen Revolutionen verbunden war, verschafft den Einwänden der Pekinger Kommunisten allein schon Bedeutung. Es ist leicht, Zhu einen Diktator zu schelten, es ist viel schwerer, die Risiken, die er zu bedenken gibt, ernst zu nehmen. Georg Blume
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