: Chelsea ist ein merkwürdiges Viertel Von Ralf Sotscheck
Englische Gerichtsprozesse sind manchmal recht unterhaltsam – vor allem wenn ein Tory-Abgeordneter beteiligt ist. David Ashby ist ein besonders pläsierliches Exemplar. Der 55jährige hat die ehrwürdige Times verklagt, weil sie ihn als „homosexuell, verlogen und heuchlerisch“ bezeichnet hat. Die letzten beiden Adjektive dürften auf die meisten Tory-Abgeordneten zutreffen. Geklagt hat er folgerichtig auch nur wegen der Homosexualität, die ihm das Blatt nachgesagt hat. Sicher, er habe in Frankreich das Bett mit einem Bekannten geteilt, aber zum einen war das Bett sehr breit, zum anderen das Hotel sehr ausgebucht. Der Zeitungsbericht sei ein Komplott seiner Ex-Frau Silvana.
Während der 30jährigen Ehe habe sie ihn öfter vermöbelt, verkündete Ashby, doch er liebe sie noch immer. Als er vor zwei Jahren aus dem gemeinsamen Haus in Putney auszog, habe er sich eine Wohnung ganz in der Nähe besorgt, damit er ihr „weiterhin den Rasen mähen, die Hecken schneiden und die Verstopfung des Waschbeckens beseitigen“ konnte, sagte er. Sie sei jedoch ein undankbares Geschöpf und habe ständig „Schwuli“ durch seinen Briefschlitz gerufen. Einmal habe sie seine Tür eingetreten, sei hereingestürmt und habe die Tapete von den Wänden gekratzt. Dann habe sie vollkommen die Kontrolle über sich verloren und gedroht, in die Liberale Partei einzutreten. Da rief er die Polizei.
Ein anderes Mal saß er mit einem älteren Kollegen, der gerade von einen Schlaganfall genesen war, vor dem Fernseher, als sie abermals die Tür eintrat – offenbar eine schlechte Angewohnheit, aber Silvana Ashby ist ja Italienerin. Dann brüllte sie: „Aha, jetzt fickst du also alte Männer!“ Danach habe sie mit Tellern und Küchenmessern nach ihm geworfen. Der Kollege stand inzwischen vor dem nächsten Schlaganfall, meinte Ashby, und so flüchteten die beiden Männer ins Schlafzimmer.
Und was sei mit der Schwulenbar, in der er mit seinem blauen Anorak gesehen worden sei, fragte der Times-Anwalt. „Unmöglich“, so Ashby: Den Anorak trage er nur, wenn er mit seinem Hund Gassi gehe. In der Bar in Chelsea habe er sein dunkelgrünes Jackett getragen, habe aber nicht bemerkt, welches Publikum in dem Laden verkehre. „Chelsea ist ein merkwürdiges Viertel“, sagte er. „Dort gibt es haufenweise merkwürdige Leute.“ Die Geschworenen nickten verständnisvoll.
Dann holte Ashby zu seinem gewichtigsten Argument aus: Er stülpte sich eine rüsselartige Vorrichtung über den Kopf und stöpselte ein Kabel in eine Art Computer. Diese Maschine, die ihm Luft in die Nase bläst, trage er jede Nacht, weil er ohne sie nicht schlafen könne, nuschelte Ashby durch den Rüssel. Außerdem sei er impotent, fügte er hinzu. „Na und“, konterte der Times-Anwalt, auch ein impotenter Rüsselträger könne mit einem anderen Mann das Bett teilen und seine Zuneigung zeigen. Die männlichen Geschworenen erbleichten sichtlich bei diesem Gedanken.
Noch ist das Urteil nicht gefällt, aber ungerecht wird es auf jeden Fall: Der Times ist eine Niederlage zwar allemal zu gönnen, doch David Ashby verdient keinen Schadensersatz: Er müßte das Geld ohnehin bei der Pleiteversicherung Lloyds abgeben, weil er als Investor für deren Verluste haftbar ist.
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