Charles-Manson-Musical in Hamburg: Hippie-Horror light
Kein Nachdenken und kein Versuch die Brutalität zu erklären: Am Thalia Theater inszeniert Stefan Pucher „Charles Manson: Summer of Hate“.
Während im August 1969 in Bethel, New York die Vorbereitungen für das Woodstock Festival laufen, das der musikalische Höhepunkt der US-amerikanischen Hippiebewegung wird, verlieren an der Küste Kaliforniens sieben Menschen auf grausame Weise ihr Leben. Mitglieder der „Manson Family“, einer Kommune um Charles Manson, dringen in die Häuser des Regisseurs Roman Polanski und des Supermarktbesitzers Leno LaBianca ein, ermorden unter anderem die Ehefrau Polanskis, die hochschwangere Sharon Tate.
Wie konnte es mitten in der Hippie-Idylle zu solchen Taten kommen? Der Frage geht der Regisseur Stefan Pucher mit dem Musical „Charles Manson: Summer of Hate“ am Hamburger Thalia Theater nach. Auf der Bühne sagt eines der „Manson Girls“: „Es war gut, in ihre Plastikgesichter zu sehen und sie dann abzustechen.“
Dabei fängt alles ganz harmlos an. Zunächst unterscheidet sich das Bühnengeschehen nicht wesentlich von Bildern aus der bekannten Woodstock-Dokumentation Michael Wadleighs. Frauen in langen Kleidern, Lagerfeuer, harmonische Gesänge über Liebe, Freiheit, den Anfang eines neuen Lebens: „Burn all your bridges / leave your whole life behind“. Inmitten der Mädchen tanzen drei Charles Mansons, gespielt von Sebastian Rudolph, Tilo Werner und Jörg Pohl.
Mansons Songs, die gekonnt um die Szenen herum arrangiert sind und von den Darstellern überzeugend, aber ohne Überraschungen performt werden, nehmen den größten Raum ein. Im Hintergrund laufen die Texte mit. Man liest und erkennt, dass die Ergebnisse von Mansons musikalischen Ambitionen eher durchschnittlich waren. Kein Wunder, denkt man sich bisweilen, dass Manson als Musiker nie großen Erfolg hatte – zahlreichen Besuchen des namenhaften Produzenten Terry Melcher zum Trotz. Die Manson Girls auf der Bühne schaffen es, beim Singen die Mischung aus Ernsthaftigkeit und Naivität ausdrücken, die ihre Zugehörigkeit zur „Family“ später gefährlich werden ließ.
Abrupt und unbedacht
Der Misserfolg als Musiker war es letztendlich auch, der Mansons Hass auf die kalifornische High Society der Swinging 60s schürte. Auf der Bühne kommt die Sequenz, die das Abdriften der Manson Family in eine gewaltbereite, von kranken Ideologien und der Idee eines Krieges gegen das Establishment getriebene Gruppe darstellen soll, etwas plötzlich und wirkt dadurch undurchdacht. Eben noch Gruppensex und LSD, jetzt Gewehre und Messer, dazu Neil Youngs „Revolution Blues“ und aggressive rot-weiße Blitze.
Die großen Fragen, die sich aufdrängen, bleiben leider auch im Musical unbeantwortet, ja werden nicht einmal berührt: Wer waren die Anhänger Charles Mansons? Was brachte sie dazu, in eine Ideologie abzudriften, die mit Peace, Love and Happiness so gar nichts mehr zu tun hatte? Warum waren es gerade Frauen, die Manson verfielen, und was machte sie zu kaltblütigen Mörderinnen? Worin bestand die scheinbar unwiderstehliche Anziehungs- und Überzeugungskraft des offen gewalttätigen und rassistischen Charles Manson?
Helter Skelter
Das Phänomen der Orientierungslosigkeit als Schattenseite der gewonnenen Freiheiten findet im Stück keine Beachtung. Die Charaktere wirken seltsam flach, und Mansons gruselige, psychopathische Monologe verlaufen im Nichts. Das ist nicht der Darbietung der Schauspieler, sondern der fehlenden Kontextualisierung geschuldet. Das Stück erhält so eher den Charakter einer gelungenen Nacherzählung als einer künstlerischen Erörterung des Manson-Umfeldes.
Den Höhepunkt des Musicals bildet zweifellos die Szene des Attentats, in der sich das Bühnengeschehen in eine Horrorfilm-Szenerie verwandelt. Im Hintergrund läuft das Originalvideo der Vernehmung einer der Täterinnen, ihre Augen verschwimmen zu schwarzen Wasserflecken. Auf der Bühne berichten die Manson Girls in einer Mischung aus Unsicherheit und Faszination davon, wie es sich angefühlt hat, Menschen auf perverseste Art und Weise zu töten und mit ihrem Blut Botschaften an die Wände zu schreiben: Helter Skelter. Manson war davon überzeugt, in dem Beatles-Song läge eine geheime Botschaft an ihn.
Nach dieser energetischen und verstörenden Szene kann das Stück nicht wieder richtig an Fahrt aufnehmen und endet bald abrupt. Die Hamburger Band Trümmer, die die Songs instrumental begleitet, bleibt so im Hintergrund, dass man sich beim Verbeugen regelrecht wundert, woher die Bandmitglieder plötzlich kommen. Am Ende bleiben gruselige Gedanken an den immer noch seine lebenslange Haftstrafe absitzenden Manson, der heute sowohl geächtet als auch von vielen verehrt wird, vermischt mit entrückter 60s-Nostalgie und Ohrwürmern der Musical-Songs.
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